10 Tage Jerevan
10 Tage Jerevan
Text und Fotos: Anna-Lena Wenzel
Am Flughafen. Der Flieger nach Yerevan geht um 23 Uhr, es ist der letzte. Eigentümlich, diesen geschäftigen Ort so ruhig/im Runterfahrmodus zu erleben. Ich bin auf dem Weg zu Esther und Jörg, die bereits seit Juli in der Stadt sind und mich in ihrer Residencywohnung beherbergen.
Was ich vorher gelesen habe:
- dass 2/3 der Armenier im Ausland leben und regelmäßig Geld überweisen.
- dass es diesen berühmten Radiosender Eriwan gab, aus dem Witze gesendet wurden, die den Sozialismus auf die Schippe nahmen.
Dann versuche ich mich zu erinnern, wo mir Armenien oder Armenier*innen schon mal begegnet sind: Als erstes kommt mir das Buch Verkin von David Wagner in den Sinn, in dem er die Geschichte einer in Istanbul lebendender Armenierin erzählt, deren Familie diskriminiert und vom Genozid betroffen war. Ich habe mich darauf eingestellt, in ein traumatisiertes Land zu reisen, das durch Verlust, Vertreibung und Migration geprägt ist. Wie wird sich das bemerkbar machen?
Was mir noch einfällt: Babylon Berlin, wo es diesen sehr reichen Mann gibt, der Inhaber des berühmten Vergnügungs-Etablissements ist, und gleichzeitig irgendwie zwielichtige Geschäfte macht. Etwas verzögert muss ich an die Kardashians denken, die wahrscheinlich bekannteste armenische Familie und rolemodel für viele Frauen.
1. Tag:
Spaziergang zu den Kaskaden, Ausstellung von Goran Tomcic im DDD-Kunst House, Essen im Lahmacun-Spezialitäten Restaurant
Was mir sofort auffällt:
Die vielen Wandbemalungen in den Tordurchgängen.
Die Graffiti Porträts der gefallenen Soldaten.
Die Blumenkioske mit Rosen etc. an der Straße.
Die vielen unterschiedlichen Bodenplatten.
Die zahlreichen Denkmäler und Gedenktafeln.
Die grünen Müllcontainer, die hier offen (!) überall rumstehen, nicht so sie bei uns, wo jeder Wohnpartei einen (oder mehrere) eigene Einer hat, die abgeräumt und abgeschlossen werden. (Ok, dafür wird in Deutschland Müll getrennt ...)
Die Kontraste von Alt- und Neubauten, von Tuffsteinhäusern, selbstgebauten Hütten und Investorenarchitekturen, die hier aufeinanderprallen.
Im Restaurant können wir nicht alles bestellen, weil das Gas nicht funktioniert, sagt die Bedienung. Esther erzählt, dass das nicht ungewöhnlich sei und auch der Strom regelmäßig ausfällt. Dann sagt sie noch, dass hier alles mit russischem Gas funktioniert – genauso wie in der Türkei, weil Armenien nicht zu den Russland-boykottierenden Ländern zählt. Später berichtet sie von Olga, die aus Russland zu Besuch ist und sich hier sehr sowohl fühlt, weil man hier freier atmen und sprechen kann. Sie sei auf der Suche nach einem Exil, sagt Esther, weil sie es nicht länger in Russland aushält.
Hier gibt es tatsächlich kleine Bäume, an denen Granatäpfel wachsen!
2. Tag
Mit dem Bus zum südlichen Teil des Flusses, Flohmarkt im Stadion, Genocid Memorial
Im Genozid Memorial bin ich geplättet von den vielen Inhalten und bestürzt von den Ausmaßen des Genozids. Ich kann mir nicht alles anschauen und merken, aber ein paar Dinge bleiben hängen: Wie lange die Verfolgung der Armenier schon zurückreicht! Dass es unter anderem auch die Kurden waren, die gegen die Armenier ausgespielt wurden. Wie die Armenier beim Genozid 1915-1917 in die Wüste oder in Flüsse getrieben wurden und in Syrien Zuflucht suchten.
Mit Esther und Jörg spreche ich über:
- Die relativ teuren Lebensunterhaltskosten und wer sich diesen Lebensstandard leisten kann? Die Mietpreise und die Produkte in Supermarkt oder im Café/ Restaurant haben Berlin Niveau während das Bruttoinlandsprodukt sehr niedrig ist. Dafür sind die öffentlichen Verkehrsmittel und die Taxis günstig. Man zahlt 100 Dram für eine Busfahrt, für die Taxifahrt zum Flughafen zahle ich 2000 (so viel kostet auch die Tafel Schokolade im Duty-Free-Shop).
- Wir fragen uns, wer hier in Immobilien investiert. Die Russen! Und handelt es sich dabei um Investitionsimmobilien oder werden die auch bewohnt? Ist der Wohnungsmarkt künstlich gepusht, oder gibt es tatsächlich einen erhöhten Wohnungsbedarf, weil so viele Menschen neu in die Stadt ziehen? Könnte es sich auch um Exil-Wohnungen von Russ*innen handeln oder sind die Neubauten gar Zweitwohnungen der Diaspora-Armenier? Wenn so viele Wohnungen neu gebaut werden, warum sinken dann die Mieten nicht?
- Esther sagt, sie glaube, es gebe hier kein Drogenproblem, weil die Gesetze so streng sind und Drogenkonsum/-besitz hart bestraft wird, woraufhin Jörg und ich die Köpfe schütteln. Auch hier wird es Drogen und die dazugehörigen Probleme geben. Wobei wir auch keine Obdachlosen sehen und kaum Bettler.
- Wer macht hier die Dienstleistungsjobs, putzt und arbeitet in der Küche bzw. auf dem Bau? Sind es Armenier*innen oder Migrant*innen aus Pakistan und Syrien?
- Esther sagt, sie bewundere die Busfahrer, die erstaunlich gelassen durch den dichten Verkehr fahren und auf die Passagiere warten würden. Ich frage uns, ob es hier auch ein Generationsproblem gibt, wie in Berlin, wo der Nachwuchs fehlt und die jüngeren nicht mehr so loyal und stoisch ihren Dienst machen.
3. Tag
Metro fahren, die Vernissage entlang schlendern, das Rossiya Kino anschauen, Kuchen in der Art Lounge, auf den Friedhof weiterfahren, mit dem Bus zurück, Khinkali Essen
Statt die großen Straßen zu nehmen, bevorzugen wir die Seitenstraßen, in denen wir schnell auf selbstgebaute Häuser und Garagen stoßen. Historisch wurden sie wahrscheinlich durch die stadtweite Tuffstein-Blockrand-Bebauung verdrängt, heute werden sie von glänzenden und poshen Investitionsimmobilien ersetzt. Was für Kontraste!
Die informellen Strukturen interessieren mich besonders: die zusammengezimmerten Architekturen aus verschiedenen Materialien, aber auch Infrastrukturen, wie die kleinen Bäckereien im Hinterhof oder die Straßenverkäufer*innen. Das Unfertige, Selbstgemachte, Unregulierte vermittelt ein anderes Gefühl – genauso wie der Anblick von Brachen: es gibt mehr Raum für einen Selbst, man kann sich dazu in ein Verhältnis setzen, weil es ebenbürtige Dimensionen sind, mit denen man konfrontiert ist.
Wir begegnen:
- einem Teppichverkäufer mit vier Appartements
- einem syrischen Händler, der antike Hehlerware für tausende Dollar auf dem Markt verkauft.
- einem jungen Barista, der gerne danach Deutschland auswandern würde
- einer jungen Frau, die einen Kreislaufzusammenbruch erleidet, kaum ist sie aus dem Bus gestiegen, und von einer Traube Menschen umsorgt wird.
Auf dem Friedhof fängt es an zu regnen, wir setzen uns unter einen der Unterstände, die es ab und zu bei den Gräbern gibt und warten ab. Der Himmel wechselt zwischen hell und dunkel, ist stellenweise ungewöhnlich klar. Auf der Rückfahrt mit dem Bus haben wir Glück, dass wir ganz am Anfang der Strecke eingestiegen sind, denn es wird immer voller, die Menschen füllen den Gang, sie füllen die Schöße der Sitzenden mit ihren Taschen, sie quetschen sich im Eingangsbereich und schieben sich hinein bis der Bus Schlagseite bekommt.
Zum ersten Mal in einem Restaurant mit Separees. Zum knutschen?, frage ich, um mich im nächsten Moment zu korrigieren: um Geschäfte zu machen!
Das ist auffällig, dass man hier keine Angst vor dem Ornament hat. Das dachte ich, als wir in der U-Bahnstation vor dem riesigen Brunnen aus Seerosenblättern stehen, der von oben mit stilisierten Tauben eingefasst ist. Oder beim Besuch auf dem Friedhof, wo es viele mit runden Formen verzierte Grabsteine gibt, die an die historischen Kreuzsteine angelehnt sind. Überhaupt, dass es hier so viele runde Architekturformen gibt, lässt auf (orientalische) Einflüsse schließen.
4. Tag
Spaziergang zur National-Galerie, Ausstellung mit Zeichnungen von Nacktheit, italienischer Malerei, historische armenische Kirchenbilder, Porträts des Regisseurs Sergei Paradschanow. Hipstercafe im Innenhof, Abendessen bei Hummus und Kimchi
Menschen:
- Die Straßenverkäufer*innen mit ihren Bananenkisten und Tüten, die sie auf ihren Autos oder auf dem Boden platzieren. Was machen sie im Winter, wenn es kalt ist?
- Die Polizisten, die morgens an der Kreuzung den Verkehr pfeifen, damit er flüssiger fließt.
- Die alten Männer, die in den Picknicküberdachungen in den Innenhöfen und im Grünstreifen Backgammon spielen. Generell die Männer, die mir demütiger vorkommen im Vergleich zu den Machismo-Italienern und den geschäftstüchtigen, autoritären Istanbulianern.
- Die vielen Männer und Frauen, die mit einem Nasenverband durch die Stadt laufen, Zeichen einer vor kurzem vorgenommenen Korrektur.
- Die ewig feudelnde Putzfrau im Restaurant.
- Die Museumsaufsichten, die munter plaudern oder telefonieren, die gelangweilt herumstehen oder uns pflichtbewusst hinterherlaufen.
Apropos Museum: die alten Fresken fand ich das Highlight in der Nationalgalerie, in der wir leider nur mehrere etwas sonderliche Sonderausstellungen sehen konnten, während die Dauerausstellung nicht zugänglich war. Die Fresken sind nämlich nicht im Original, sondern als Kopien ausgestellt. Diese dokumentieren den unvollständigen Zustand der Fresken und sind in ihrer Abstraktheit selber Kunstwerke. Manchen sah man ihr Alter deutlich an. Warum hat man nicht das Original ins Museum geholt, und in den Kirchen Kopien aufgehängt, um sie vor Witterung und Zerstörungen zu schützen, fragt Esther. Vielleicht weil sie schon zu sehr beschädigt waren?, frage ich zurück.
Schade ist, das zwar die Namen der Kopisten, nicht aber das Entstehungsjahr genannt wird, bis auf eine Ausnahme, der zufolge die Kopie aus dem Jahr 1865 stammt – womit sie selber schon Geschichte ist.
In Anbetracht der omnipräsenten sowjetischen Architektur und Einflüsse darüber nachgedacht, dass die DDR Teil eines größeren Ganzen war, und nicht nur das kleinere Deutschland. So abstrakt die Rede von den Bruderstaaten auch sein mag, de facto haben diese Länder alle ähnliche Erfahrungen gesammelt, teilen Zentralisierung, Obrigkeitshörigkeit, Bespitzelung, Aufbruchsgeist, die Idee von einer gleicheren Welt. Und dann die Wende, begleitet von Hoffnung, Ängsten, neuer Freiheit und extremen Umschwüngen inkl. turbokapitalistischen Tendenzen.
Eine Sonderausstellung ist dem Regisseur Sergei Paradschanow gewidmet, der vor 100 Jahren geboren wurde und mit dem Film Die Farbe des Granatapfels (1969) bekannt geworden ist. Sie zeigt immer wieder sein markante Porträt: eine rundliches Gesicht mit Vollbart und markanten Augenbrauen. Auf einigen wird er umgeben von leicht bekleideten Frauen gezeigt. Als ich zu Hause bin, recherchiere ich zu seiner Biografie und bin überrascht zu erfahren, dass er unter anderem wegen seiner Bisexualiät verhaftet und daran gehindert wurde, weitere Filme zu machen. Warum wurde das in der Ausstellung nicht erwähnt? Ich muss an das Gespräch mit dem Künstler Goran Tomcic denken, das wir mit ihm in seiner Ausstellung im DDD Kunst House geführt haben. Weil er seine Homosexualität erwähnt hat, fragen wir ihn nach seinen Erfahrungen in Jerevan und er erzählt, dass er bei einer Trans-Party war, zu der er sich angemeldet hat und bei der er sich ausweisen musste. Natürlich gibt es also auch hier eine Szene, die jedoch kaum sichtbar agiert und sich offenbar gut schützen muss.
5. Tag
Modern Art Museum, Blaue Moschee, Markthalle inkl. Supermarkt und Foodcorner, HayArt Center (Eduard Issabekyan Gallery), Kirche Surb Hovannes
Das Museum für Moderne Kunst im Erdgeschoß einer Platte ist die Privatsammlung eines Kritikers, die er in den 1970ern gegründet hat. Wir gehen durch die mit Gemälden und Skulpturen vollgestellten Räume und sind von wenigen Arbeiten im positiven Sinne angefasst. Woran liegt das? An unserem westlichen Blick? Wie repräsentativ bzw. subjektiv ist die Sammlung?
Im gegenüberliegenden Gebäude gibt es eine Ausstellung mit dem zeitgenössischen Künstler Akhsar Muriev, der in Paris lebt und bunte, irritierende, feucht aussehende Malereien zeigt. Dies entspricht schon eher unserem westlich geprägten Kunstgeschmack. Dennoch werden wir auch hier nicht warm mit den Arbeiten. Ob es an den potenten Texten im hübsch gemachten Heftchen liegt, das in drei Sprachen ausliegt?
Im Anschluss gehe ich noch ins HayArt Center, das mich wegen seiner merkwürdigen Architektur reizt: mehrere runde Baukörper, die miteinander verbunden sind und auf Erdgeschoßhöhe eine offene Fensterfront haben. Eine Grundfläche ist zurzeit wegen Umbau gesperrt. In den anderen gibt es mehrere Ausstellungen zu sehen, doch es kommt mir alles etwas lieblos vor. In der Gemäldeausstellung stehen diverse Porträts auf dem Fußboden, in den hinteren Räumen ist nicht klar, ob umgebaut wird und in was man sich für einer Ausstellung befindet. Das Haus ist von Wasserflecken durchzogen, manchmal gibt es gar keine Infos, dann sehr lange Wandtexte. Auch dieser Ort ist eine Privatinitiative, ich frage mich, ob er komplett ohne staatliche Förderung oder eine Kunstvereinsstruktur arbeitet.
Abends lese ich im Architekturführer noch etwas über die Geschichte Jerevans; der erste Generalstadtplan ist von Alexander Tamanjan aus den 1930ern. Er sah eine Mischung aus traditioneller und moderner Architektur vor und orientierte sich an englischen Gartenstädten. Dann kam die sowjetische Moderne und seit den 1990er ist Tohuwabohu bzw. der Einzug der Investorenarchitektur zu beobachten. Es fehlen eine ordnende Hand und eine Vision. Die Kontraste sind krass und überall in der Stadt zu beobachten. Esther berichtet, dass es einerseits Altbauten sind, die weichen müssen, aber vor allem die informell gebauten Quartiere mit ihren kleinteiligen Strukturen. Abends erzählt sie von Lea Fröhlicher, einer Vorgängerin-Stipendiatin, die einen Film über die Verdrängungsprozesse gemacht hat, wobei sie Bewohner*innen- und Investoren-Perspektiven miteinander kombiniert.
Wie läuft wohl so eine Neubebauung? Gibt es Entschädigungszahlungen? Wem gehört überhaupt das Land? Gibt es Proteste oder gibt es auch Menschen, die froh sind, aus ihren improvisierten, zugigen Hütten in einen Neubau mit warmer Dusche zu ziehen?
6. Tag
National Museum – Institut für Architektur nach Alexander Tamanjan, Essen in der Art Lounge, Stöbern im Buchladen, Reinluschern in die Kinder-Bibliothek
Im ersten Teil des Museums sind Fotos, Grundrisse und Modelle von Klöstern ausgestellt, im anderen Teil wiederholt sich das Bild, das mich stark an Marketingdisplays erinnert, nur dass es hier auch noch einen Zeichentisch und Arbeitsutensilien des Architekten und Stadtplaners Tamanjan gibt sowie einige Original-Zeichnungen. Leider fehlen Angaben zum Entstehungsjahr der Zeichnungen oder Fotos sowie weiterführende Erklärungen (und wenn es welche gibt, sind diese nur auf armenisch und russisch angebracht).
An einer Wand steht ein Zitat von Joseph Strzygowski, in dem von der Stärke und Unabhängigkeit Armeniens die Rede ist, die dazu geführt hätte, dass das Land den Eroberern aus Ost und West widerstanden hätten. Mich befremdet der Ton; ich finde es unangenehm nationalistisch und in mir regt sich sofort die Gegenrede, denn meiner Meinung nach ist das Konzept einer „reinen“ Identität Humbug. Es macht viel mehr Sinn, die wechselnden Einflüsse als Teil der eigenen Identität anzuerkennen (wie die blaue Moschee) und sie (bzw. die Fähigkeit sich anzupassen und sich Teile anderer Kulturen anzueignen) als Stärke zu definieren.
In der Kinder Bibliothek ist es leer, bis auf die alten Damen, die in den Sofas neben den Büchern sitzen und plauschen. Mich überkommt sofort eine Traurigkeit, handelt es sich bei diesem Ort um ein überholtes Konzept? Wollen die Eltern heute vor allem Hochleistungskids, die früh Englisch lernen und gestählt werden für den kapitalistischen Überlebenskampf?
Der Ararat ist schüchtern. Obwohl wir ihn von unserem Küchenfenster sehen könnten, habe ich ihn noch nie zu Gesicht bekommen. Immer ist er von einem diffusen Schleier umgeben.
Abends schauen wir den Film Ararat des kanadisch-armenischen Regisseurs Atom Egoyan. Ich bin überrascht, wie gut es gelingt den Genozid in Blockbusterformat zu erklären. Alles ist da: Charles Aznavour, der in Frankreich lebende Chansonier und Schauspieler mit armenischen Wurzeln; ein radikalisierter Armenier, der Rache an den Türken nehmen will; ein Künstler, der den Genozid überlebt hat, ausgewandert ist und dann Selbstmord begeht; ein Enkel, der auf der Suche nach seinen Wurzeln eine Reise nach Ani unternimmt, der bedeutsamen Stadt und Klosteranlage, die heute in der Türkei liegt.
7. Tag
Spaziergang über den Fluss nach Nord-West unter der großen Brücke durch zum Blockhaus-Viertel, Performance von Goran am Handschrift-Museum, Spaziergang durch den Ring zur Komitas Chamber Hall und zum Schach-Haus
Beim Durchstreifen der Wohnsiedlung kann man deren Bau-Prinzip ganz gut nachvollziehen: die Wohnblocks sind umgeben von größeren Verkehrs- und Einkaufsstraßen, während es in der Mitte etwas ungeordnet wirkt. Hier gibt es Garagen, Kitas und Schulen und kleine Parkanlagen mit Fitnessgeräten und Spielgelegenheiten für die Kinder. Mir fällt positiv auf, dass es unterschiedliche Plattenbauten-Typen gibt, die für Varianz sorgen.
Die Chamber Hall ist ein weiterer heißer sowjetischer Moderne-Bau; auf dem Schild heißt es: „The biulding is unique, built on the principle of free planning.“
In der Gruppe der Jerevan Zugereisten sagt der eine: ich habe kein Wasser, der nächste, bei mir geht Strom nicht und die nächsten sagen, wie haben kein Internet!
8. Tag
Im Martiros Saryan House Museum, Spaziergang durch den Tunnel zum Fluss entlang der Kindereisenbahn
Die Ausstellung beginnt im dritten Stock und statt einer Biografie oder einer kunsthistorische Einführung, sind an einer Wand mehrere Zitate von Martiros Saryan (1880-1972) angebracht. Darin spricht er, der in Russland geboren wurde und seit 1921 in Jerevan lebte, davon, wie verbunden er dem Land ist, das durch den Genozid so gelitten hat.
Noch bevor wir uns die Werke anschauen, beginnen Esther und ich ein Gespräch über Nationalismus, denn ich empfinde die Texte als tendenziös – während Esther mit der speziellen Geschichte der Armenier*innen argumentiert.
Weil das Museum über ca. 200 Kunstwerke aus dem über 4000 Werke umfassenden Oeuvre von Martiros Saryan (1880-1972) hat, gibt es viel zu sehen, und man bekommt einen Überblick über alle Schaffensphasen + sein Atelier und seine Wohnräume. Stehen am Anfang klassische Zeichnungen und Ölbilder, werden seine Bilder immer surrealer bzw. flächiger. Seine Märchenbilder sind toll. Der war doch auf Droge, sage ich mit einem Schmunzeln zu Esther. Es gibt Stillleben mit Früchten und Blumen, Dorfszenen und Porträts von seiner Familie und Persönlichkeiten wie John Steinbeck. Und natürlich den Ararat, aber auch Szenen aus Ägypten und Konstantinopel, wohin er noch vor dem ersten Weltkrieg gereist ist, um dort seine Bilder auszustellen. Von 1926 bis 1928 lebte er in Paris und verlor bei der Rückfahrt durch einen Brand auf dem Schiff ein Teil seines Oeuvres.
Ich frage mich: Wann unterschreibt er ein Bild im russischen und wann im lateinischen Alphabet? Wie hat er sich mit der Politik arrangiert? Wie hat er selber Politik gemacht? Der Ausstellung mit Dokumenten und Fotos in seinen Wohnräumen im Erdgeschoß zufolge war er eine öffentliche Person, dessen Söhne wichtige Kulturämter bekleideten. Am Ende bekommen wir noch die Extra-Ausstellung aufgeschlossen, in der seine Schwiegertochter im Fokus steht. Die Mitarbeiterin erzählt uns von der großen Liebe zwischen Martinos und seiner Frau Loussik, die seine große Inspiration war. Am Ende fragt uns die Mitarbeiterin, ob wir im Zeiten Stock gesehen hätten, wie schön Armenien ist?
Beim Spazieren durch die Stadt habe ich schon oft gedacht, dass wär ein super Spot für Obdachlose. Oder anders: in Berlin würden sich hier an vielen Stellen Obdachlose ein Zelt aufgeschlagen oder eine Schlafnische eingerichtet haben.
Das finde ich auffällig: dass es hier so wenige Bänke gibt. Also nur in den Grünstreifen und an den Bushaltestellen. Dafür gibt es viele streunende Katzen und Hunde, für die manchmal neben die Mülltonne ein Teller mit testen gelegt wird. Wenn Leute mit Hunden Gassi gehen, sind es meist Dobermänner oder Schäferhunde.
9. Tag
Spaziergang zu den Kaskaden und dem darüber liegenden Gedenkort, Ausflug ins Kloster Geghad, Treffen an der Oper, Essen bei Smak Salat
Der Himmel ist klar und die Sonne scheint – ich kann zum ersten Mal den Ararat aus dem Fenster sehen, mache sofort ein Foto und beschließe zur Aussichtsplattform über den Kaskaden zu laufen. Wie nah der plötzlich ist! Ich kann nun verstehen, warum er so ikonisch ist …
Beim Warten auf den Bus nach Geghad habe ich genug Zeit mir anzuschauen, woher sie kommen: sie sind aus China von Zhong Tong und oder von MAN aus Deutschland. Manche sehen eher aus wie Kleinbusse oder Lieferwagen, auf einigen steht "Armbeton". Einige fahren mit offenen Türen, in anderen ist der Fahrer am Telefonieren.
Die Busse kommen nicht, wie es die App ansagt, an den Stationen sind weder die Busse noch die Zeiten angegeben, woher wissen die Leute, wann die Busse fahren?
Ich muss an David Wagner denken, der in seinem Buch Verkin beschreibt, wie er die ganze Zeit durch die Gegend kutschiert wird und bin ein bisschen neidisch. Gleichzeitig finde ich es auch gut, mich eben dieser Situation der Ungewissheit auszusetzen.
Beim Rausfahren aus der Stadt fadet die Stadt langsam aus, wird gewerbiger und unrepräsentativer. Gleichzeitig gibt es viele große neue Veranstaltungslokalitäten für Hochzeiten etc. Zudem sehe ich an zwei Stellen Schafe, die eng umzäunt, darauf „warten“ zum Opfern abgeholt zu werden.
Als es ländlicher wird, werden am Straßenrand Walnüsse, Ketten mit aufgezogenen roten Beeren, Quitten, Äpfel etc. verkauft, an anderen Ständen gibt es eingelegtes Gemüse. Dann gibt es immer wieder Imbisse, wo in im Boden eingelassenen Tonofen frisch dünnes Brot gebacken wird. Beim Kloster sind es weiße Tauben, die als Gimmick für sie Hochzeiten zum Verkauf feilgeboten werden.
Die holprige Straße, übersetzt sich in ein quietschendes Plastikgeräusch, das aus dem Dach zu kommen scheint.
Als ich aus dem Bus aussteige, um zum Kloster Geghard hochlaufen, ist der Bürgersteig mit Kuhfladen gepflastert, weiter oben komme ich mehrmals an Kühen vorbei, die hier offenbar frei herumlaufen.
Die spektakuläre Lichtführung, die Esther versprochen hat, ist genau das. Ein einzelner Lichtstrahl fällt in den Raum und ist als Licht bis auf den Boden verfolgbar. Ansonsten gibt es nur ein rundes Loch in der Decke, durch das Licht fällt, und dass durch eine kaskadenartige Struktur abfällt.
Das Zischen des Kerzenwachs‘ im Kloster, wenn es ins Wasser tropft.
Als ich mir beim Warten auf den Bus eine Zigarette anstecke, fällt mir wieder ein, was Esther mir über das Rauchen erzählt hat: dass das den Frauen in der Öffentlichkeit noch gar nicht so lange erlaubt ist.
Aus dem Bus heraus sehe ich einen Gefallenenfriedhof mit Flagge, Adlerskulptur am Eingang und opulenten Plastikgestecken. Da fällt mir wieder ein, was auf dem anderen Friedhof so besonders war: die in Stein gemeißeltenPorträts, die wahnsinnig realistisch aussahen.
10. Tag
Bus-Ausflug zum A1 und A2 Neighboorhood, Spaziergang zum Vitory Park mit der „Schwertfrau“ aka Mother Amenia
Das sich selbst überlassene und abgesperrte Freibad mitten in der Plattenbausiedlung verursacht mir Phantomschmerzen. Die These ist, dass nach der Wende die Wohnungen in Privatbesitz übergingen, und die öffentlichen Anlage in niemandes Hand, weswegen öffentliche Grünanlagen und Spiel- und Sportplätze, wie die Kindereisenbahn am Fluß, aber auch Kultureinrichtungen, wie das Freiluftkino häufig sich selbst überlassen sind und verkommen.
Am Ende des Spaziergangs gehen wir in eine neugebaute Kirche, die aber auch schon 100 Jahre alt sein könnte. Esther weist noch mal darauf hin, dass die meisten (alle?) Kirchen von den Sowjets platt gemacht wurden, und erst in den letzten 30 Jahren neue gebaut wurden. Als wir zur Mittagszeit drin sind, sind wir nicht allein. Irritierender Moment: Als die Besucher*innen rückwärts wieder rausgehen, weil sie Jesus nicht den Rücken zuwenden.
Wie toll ist das denn: das es hier ein Writers House gibt, genauso wie am Sevansee. Ich stelle mir das als Austausch- und Begegnungsort vor, der offener funktioniert als in Berlin, wo es ja auch ein literaturhaus gibt etc., aber eben mit kuratierten Programm.
Die Garagen aka Waschanlagen sind die Beauty Salons der Männer (Esther)
Was bedeutet es, dass die Stadt einerseits eine der ältesten Städte der Welt ist, aber gleichzeitig seine heutige Gestalt erst vor ca. 100 Jahre bekommen hat? Wie wirkt es sich aus, dass Armenien früher, als es noch Westarmenien hieß, bis weit in die Türkei reichte, und heute nur noch ca. ein Drittel so groß ist? Welche Spuren hat die Sowjetherrschaft von 1922 bis 1991 hinterlassen? Was macht es mit der Identität des Landes, dass sie erst 1991 mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein souveräner Staat wurde (die zwei Jahre Unabhängigkeit von 1918 bis 1920 ausgenommen)? Ist damit der Stolz auf das Land einerseits und das fehlende Kümmergefühl für den öffentlichen Raum andererseits erklärbar?
Was ich vorher gelesen habe:
- dass 2/3 der Armenier im Ausland leben und regelmäßig Geld überweisen.
- dass es diesen berühmten Radiosender Eriwan gab, aus dem Witze gesendet wurden, die den Sozialismus auf die Schippe nahmen.
Dann versuche ich mich zu erinnern, wo mir Armenien oder Armenier*innen schon mal begegnet sind: Als erstes kommt mir das Buch Verkin von David Wagner in den Sinn, in dem er die Geschichte einer in Istanbul lebendender Armenierin erzählt, deren Familie diskriminiert und vom Genozid betroffen war. Ich habe mich darauf eingestellt, in ein traumatisiertes Land zu reisen, das durch Verlust, Vertreibung und Migration geprägt ist. Wie wird sich das bemerkbar machen?
Was mir noch einfällt: Babylon Berlin, wo es diesen sehr reichen Mann gibt, der Inhaber des berühmten Vergnügungs-Etablissements ist, und gleichzeitig irgendwie zwielichtige Geschäfte macht. Etwas verzögert muss ich an die Kardashians denken, die wahrscheinlich bekannteste armenische Familie und rolemodel für viele Frauen.
1. Tag:
Spaziergang zu den Kaskaden, Ausstellung von Goran Tomcic im DDD-Kunst House, Essen im Lahmacun-Spezialitäten Restaurant
Was mir sofort auffällt:
Die vielen Wandbemalungen in den Tordurchgängen.
Die Graffiti Porträts der gefallenen Soldaten.
Die Blumenkioske mit Rosen etc. an der Straße.
Die vielen unterschiedlichen Bodenplatten.
Die zahlreichen Denkmäler und Gedenktafeln.
Die grünen Müllcontainer, die hier offen (!) überall rumstehen, nicht so sie bei uns, wo jeder Wohnpartei einen (oder mehrere) eigene Einer hat, die abgeräumt und abgeschlossen werden. (Ok, dafür wird in Deutschland Müll getrennt ...)
Die Kontraste von Alt- und Neubauten, von Tuffsteinhäusern, selbstgebauten Hütten und Investorenarchitekturen, die hier aufeinanderprallen.
Im Restaurant können wir nicht alles bestellen, weil das Gas nicht funktioniert, sagt die Bedienung. Esther erzählt, dass das nicht ungewöhnlich sei und auch der Strom regelmäßig ausfällt. Dann sagt sie noch, dass hier alles mit russischem Gas funktioniert – genauso wie in der Türkei, weil Armenien nicht zu den Russland-boykottierenden Ländern zählt. Später berichtet sie von Olga, die aus Russland zu Besuch ist und sich hier sehr sowohl fühlt, weil man hier freier atmen und sprechen kann. Sie sei auf der Suche nach einem Exil, sagt Esther, weil sie es nicht länger in Russland aushält.
Hier gibt es tatsächlich kleine Bäume, an denen Granatäpfel wachsen!
2. Tag
Mit dem Bus zum südlichen Teil des Flusses, Flohmarkt im Stadion, Genocid Memorial
Im Genozid Memorial bin ich geplättet von den vielen Inhalten und bestürzt von den Ausmaßen des Genozids. Ich kann mir nicht alles anschauen und merken, aber ein paar Dinge bleiben hängen: Wie lange die Verfolgung der Armenier schon zurückreicht! Dass es unter anderem auch die Kurden waren, die gegen die Armenier ausgespielt wurden. Wie die Armenier beim Genozid 1915-1917 in die Wüste oder in Flüsse getrieben wurden und in Syrien Zuflucht suchten.
Mit Esther und Jörg spreche ich über:
- Die relativ teuren Lebensunterhaltskosten und wer sich diesen Lebensstandard leisten kann? Die Mietpreise und die Produkte in Supermarkt oder im Café/ Restaurant haben Berlin Niveau während das Bruttoinlandsprodukt sehr niedrig ist. Dafür sind die öffentlichen Verkehrsmittel und die Taxis günstig. Man zahlt 100 Dram für eine Busfahrt, für die Taxifahrt zum Flughafen zahle ich 2000 (so viel kostet auch die Tafel Schokolade im Duty-Free-Shop).
- Wir fragen uns, wer hier in Immobilien investiert. Die Russen! Und handelt es sich dabei um Investitionsimmobilien oder werden die auch bewohnt? Ist der Wohnungsmarkt künstlich gepusht, oder gibt es tatsächlich einen erhöhten Wohnungsbedarf, weil so viele Menschen neu in die Stadt ziehen? Könnte es sich auch um Exil-Wohnungen von Russ*innen handeln oder sind die Neubauten gar Zweitwohnungen der Diaspora-Armenier? Wenn so viele Wohnungen neu gebaut werden, warum sinken dann die Mieten nicht?
- Esther sagt, sie glaube, es gebe hier kein Drogenproblem, weil die Gesetze so streng sind und Drogenkonsum/-besitz hart bestraft wird, woraufhin Jörg und ich die Köpfe schütteln. Auch hier wird es Drogen und die dazugehörigen Probleme geben. Wobei wir auch keine Obdachlosen sehen und kaum Bettler.
- Wer macht hier die Dienstleistungsjobs, putzt und arbeitet in der Küche bzw. auf dem Bau? Sind es Armenier*innen oder Migrant*innen aus Pakistan und Syrien?
- Esther sagt, sie bewundere die Busfahrer, die erstaunlich gelassen durch den dichten Verkehr fahren und auf die Passagiere warten würden. Ich frage uns, ob es hier auch ein Generationsproblem gibt, wie in Berlin, wo der Nachwuchs fehlt und die jüngeren nicht mehr so loyal und stoisch ihren Dienst machen.
3. Tag
Metro fahren, die Vernissage entlang schlendern, das Rossiya Kino anschauen, Kuchen in der Art Lounge, auf den Friedhof weiterfahren, mit dem Bus zurück, Khinkali Essen
Statt die großen Straßen zu nehmen, bevorzugen wir die Seitenstraßen, in denen wir schnell auf selbstgebaute Häuser und Garagen stoßen. Historisch wurden sie wahrscheinlich durch die stadtweite Tuffstein-Blockrand-Bebauung verdrängt, heute werden sie von glänzenden und poshen Investitionsimmobilien ersetzt. Was für Kontraste!
Die informellen Strukturen interessieren mich besonders: die zusammengezimmerten Architekturen aus verschiedenen Materialien, aber auch Infrastrukturen, wie die kleinen Bäckereien im Hinterhof oder die Straßenverkäufer*innen. Das Unfertige, Selbstgemachte, Unregulierte vermittelt ein anderes Gefühl – genauso wie der Anblick von Brachen: es gibt mehr Raum für einen Selbst, man kann sich dazu in ein Verhältnis setzen, weil es ebenbürtige Dimensionen sind, mit denen man konfrontiert ist.
Wir begegnen:
- einem Teppichverkäufer mit vier Appartements
- einem syrischen Händler, der antike Hehlerware für tausende Dollar auf dem Markt verkauft.
- einem jungen Barista, der gerne danach Deutschland auswandern würde
- einer jungen Frau, die einen Kreislaufzusammenbruch erleidet, kaum ist sie aus dem Bus gestiegen, und von einer Traube Menschen umsorgt wird.
Auf dem Friedhof fängt es an zu regnen, wir setzen uns unter einen der Unterstände, die es ab und zu bei den Gräbern gibt und warten ab. Der Himmel wechselt zwischen hell und dunkel, ist stellenweise ungewöhnlich klar. Auf der Rückfahrt mit dem Bus haben wir Glück, dass wir ganz am Anfang der Strecke eingestiegen sind, denn es wird immer voller, die Menschen füllen den Gang, sie füllen die Schöße der Sitzenden mit ihren Taschen, sie quetschen sich im Eingangsbereich und schieben sich hinein bis der Bus Schlagseite bekommt.
Zum ersten Mal in einem Restaurant mit Separees. Zum knutschen?, frage ich, um mich im nächsten Moment zu korrigieren: um Geschäfte zu machen!
Das ist auffällig, dass man hier keine Angst vor dem Ornament hat. Das dachte ich, als wir in der U-Bahnstation vor dem riesigen Brunnen aus Seerosenblättern stehen, der von oben mit stilisierten Tauben eingefasst ist. Oder beim Besuch auf dem Friedhof, wo es viele mit runden Formen verzierte Grabsteine gibt, die an die historischen Kreuzsteine angelehnt sind. Überhaupt, dass es hier so viele runde Architekturformen gibt, lässt auf (orientalische) Einflüsse schließen.
4. Tag
Spaziergang zur National-Galerie, Ausstellung mit Zeichnungen von Nacktheit, italienischer Malerei, historische armenische Kirchenbilder, Porträts des Regisseurs Sergei Paradschanow. Hipstercafe im Innenhof, Abendessen bei Hummus und Kimchi
Menschen:
- Die Straßenverkäufer*innen mit ihren Bananenkisten und Tüten, die sie auf ihren Autos oder auf dem Boden platzieren. Was machen sie im Winter, wenn es kalt ist?
- Die Polizisten, die morgens an der Kreuzung den Verkehr pfeifen, damit er flüssiger fließt.
- Die alten Männer, die in den Picknicküberdachungen in den Innenhöfen und im Grünstreifen Backgammon spielen. Generell die Männer, die mir demütiger vorkommen im Vergleich zu den Machismo-Italienern und den geschäftstüchtigen, autoritären Istanbulianern.
- Die vielen Männer und Frauen, die mit einem Nasenverband durch die Stadt laufen, Zeichen einer vor kurzem vorgenommenen Korrektur.
- Die ewig feudelnde Putzfrau im Restaurant.
- Die Museumsaufsichten, die munter plaudern oder telefonieren, die gelangweilt herumstehen oder uns pflichtbewusst hinterherlaufen.
Apropos Museum: die alten Fresken fand ich das Highlight in der Nationalgalerie, in der wir leider nur mehrere etwas sonderliche Sonderausstellungen sehen konnten, während die Dauerausstellung nicht zugänglich war. Die Fresken sind nämlich nicht im Original, sondern als Kopien ausgestellt. Diese dokumentieren den unvollständigen Zustand der Fresken und sind in ihrer Abstraktheit selber Kunstwerke. Manchen sah man ihr Alter deutlich an. Warum hat man nicht das Original ins Museum geholt, und in den Kirchen Kopien aufgehängt, um sie vor Witterung und Zerstörungen zu schützen, fragt Esther. Vielleicht weil sie schon zu sehr beschädigt waren?, frage ich zurück.
Schade ist, das zwar die Namen der Kopisten, nicht aber das Entstehungsjahr genannt wird, bis auf eine Ausnahme, der zufolge die Kopie aus dem Jahr 1865 stammt – womit sie selber schon Geschichte ist.
In Anbetracht der omnipräsenten sowjetischen Architektur und Einflüsse darüber nachgedacht, dass die DDR Teil eines größeren Ganzen war, und nicht nur das kleinere Deutschland. So abstrakt die Rede von den Bruderstaaten auch sein mag, de facto haben diese Länder alle ähnliche Erfahrungen gesammelt, teilen Zentralisierung, Obrigkeitshörigkeit, Bespitzelung, Aufbruchsgeist, die Idee von einer gleicheren Welt. Und dann die Wende, begleitet von Hoffnung, Ängsten, neuer Freiheit und extremen Umschwüngen inkl. turbokapitalistischen Tendenzen.
Eine Sonderausstellung ist dem Regisseur Sergei Paradschanow gewidmet, der vor 100 Jahren geboren wurde und mit dem Film Die Farbe des Granatapfels (1969) bekannt geworden ist. Sie zeigt immer wieder sein markante Porträt: eine rundliches Gesicht mit Vollbart und markanten Augenbrauen. Auf einigen wird er umgeben von leicht bekleideten Frauen gezeigt. Als ich zu Hause bin, recherchiere ich zu seiner Biografie und bin überrascht zu erfahren, dass er unter anderem wegen seiner Bisexualiät verhaftet und daran gehindert wurde, weitere Filme zu machen. Warum wurde das in der Ausstellung nicht erwähnt? Ich muss an das Gespräch mit dem Künstler Goran Tomcic denken, das wir mit ihm in seiner Ausstellung im DDD Kunst House geführt haben. Weil er seine Homosexualität erwähnt hat, fragen wir ihn nach seinen Erfahrungen in Jerevan und er erzählt, dass er bei einer Trans-Party war, zu der er sich angemeldet hat und bei der er sich ausweisen musste. Natürlich gibt es also auch hier eine Szene, die jedoch kaum sichtbar agiert und sich offenbar gut schützen muss.
5. Tag
Modern Art Museum, Blaue Moschee, Markthalle inkl. Supermarkt und Foodcorner, HayArt Center (Eduard Issabekyan Gallery), Kirche Surb Hovannes
Das Museum für Moderne Kunst im Erdgeschoß einer Platte ist die Privatsammlung eines Kritikers, die er in den 1970ern gegründet hat. Wir gehen durch die mit Gemälden und Skulpturen vollgestellten Räume und sind von wenigen Arbeiten im positiven Sinne angefasst. Woran liegt das? An unserem westlichen Blick? Wie repräsentativ bzw. subjektiv ist die Sammlung?
Im gegenüberliegenden Gebäude gibt es eine Ausstellung mit dem zeitgenössischen Künstler Akhsar Muriev, der in Paris lebt und bunte, irritierende, feucht aussehende Malereien zeigt. Dies entspricht schon eher unserem westlich geprägten Kunstgeschmack. Dennoch werden wir auch hier nicht warm mit den Arbeiten. Ob es an den potenten Texten im hübsch gemachten Heftchen liegt, das in drei Sprachen ausliegt?
Im Anschluss gehe ich noch ins HayArt Center, das mich wegen seiner merkwürdigen Architektur reizt: mehrere runde Baukörper, die miteinander verbunden sind und auf Erdgeschoßhöhe eine offene Fensterfront haben. Eine Grundfläche ist zurzeit wegen Umbau gesperrt. In den anderen gibt es mehrere Ausstellungen zu sehen, doch es kommt mir alles etwas lieblos vor. In der Gemäldeausstellung stehen diverse Porträts auf dem Fußboden, in den hinteren Räumen ist nicht klar, ob umgebaut wird und in was man sich für einer Ausstellung befindet. Das Haus ist von Wasserflecken durchzogen, manchmal gibt es gar keine Infos, dann sehr lange Wandtexte. Auch dieser Ort ist eine Privatinitiative, ich frage mich, ob er komplett ohne staatliche Förderung oder eine Kunstvereinsstruktur arbeitet.
Abends lese ich im Architekturführer noch etwas über die Geschichte Jerevans; der erste Generalstadtplan ist von Alexander Tamanjan aus den 1930ern. Er sah eine Mischung aus traditioneller und moderner Architektur vor und orientierte sich an englischen Gartenstädten. Dann kam die sowjetische Moderne und seit den 1990er ist Tohuwabohu bzw. der Einzug der Investorenarchitektur zu beobachten. Es fehlen eine ordnende Hand und eine Vision. Die Kontraste sind krass und überall in der Stadt zu beobachten. Esther berichtet, dass es einerseits Altbauten sind, die weichen müssen, aber vor allem die informell gebauten Quartiere mit ihren kleinteiligen Strukturen. Abends erzählt sie von Lea Fröhlicher, einer Vorgängerin-Stipendiatin, die einen Film über die Verdrängungsprozesse gemacht hat, wobei sie Bewohner*innen- und Investoren-Perspektiven miteinander kombiniert.
Wie läuft wohl so eine Neubebauung? Gibt es Entschädigungszahlungen? Wem gehört überhaupt das Land? Gibt es Proteste oder gibt es auch Menschen, die froh sind, aus ihren improvisierten, zugigen Hütten in einen Neubau mit warmer Dusche zu ziehen?
6. Tag
National Museum – Institut für Architektur nach Alexander Tamanjan, Essen in der Art Lounge, Stöbern im Buchladen, Reinluschern in die Kinder-Bibliothek
Im ersten Teil des Museums sind Fotos, Grundrisse und Modelle von Klöstern ausgestellt, im anderen Teil wiederholt sich das Bild, das mich stark an Marketingdisplays erinnert, nur dass es hier auch noch einen Zeichentisch und Arbeitsutensilien des Architekten und Stadtplaners Tamanjan gibt sowie einige Original-Zeichnungen. Leider fehlen Angaben zum Entstehungsjahr der Zeichnungen oder Fotos sowie weiterführende Erklärungen (und wenn es welche gibt, sind diese nur auf armenisch und russisch angebracht).
An einer Wand steht ein Zitat von Joseph Strzygowski, in dem von der Stärke und Unabhängigkeit Armeniens die Rede ist, die dazu geführt hätte, dass das Land den Eroberern aus Ost und West widerstanden hätten. Mich befremdet der Ton; ich finde es unangenehm nationalistisch und in mir regt sich sofort die Gegenrede, denn meiner Meinung nach ist das Konzept einer „reinen“ Identität Humbug. Es macht viel mehr Sinn, die wechselnden Einflüsse als Teil der eigenen Identität anzuerkennen (wie die blaue Moschee) und sie (bzw. die Fähigkeit sich anzupassen und sich Teile anderer Kulturen anzueignen) als Stärke zu definieren.
In der Kinder Bibliothek ist es leer, bis auf die alten Damen, die in den Sofas neben den Büchern sitzen und plauschen. Mich überkommt sofort eine Traurigkeit, handelt es sich bei diesem Ort um ein überholtes Konzept? Wollen die Eltern heute vor allem Hochleistungskids, die früh Englisch lernen und gestählt werden für den kapitalistischen Überlebenskampf?
Der Ararat ist schüchtern. Obwohl wir ihn von unserem Küchenfenster sehen könnten, habe ich ihn noch nie zu Gesicht bekommen. Immer ist er von einem diffusen Schleier umgeben.
Abends schauen wir den Film Ararat des kanadisch-armenischen Regisseurs Atom Egoyan. Ich bin überrascht, wie gut es gelingt den Genozid in Blockbusterformat zu erklären. Alles ist da: Charles Aznavour, der in Frankreich lebende Chansonier und Schauspieler mit armenischen Wurzeln; ein radikalisierter Armenier, der Rache an den Türken nehmen will; ein Künstler, der den Genozid überlebt hat, ausgewandert ist und dann Selbstmord begeht; ein Enkel, der auf der Suche nach seinen Wurzeln eine Reise nach Ani unternimmt, der bedeutsamen Stadt und Klosteranlage, die heute in der Türkei liegt.
7. Tag
Spaziergang über den Fluss nach Nord-West unter der großen Brücke durch zum Blockhaus-Viertel, Performance von Goran am Handschrift-Museum, Spaziergang durch den Ring zur Komitas Chamber Hall und zum Schach-Haus
Beim Durchstreifen der Wohnsiedlung kann man deren Bau-Prinzip ganz gut nachvollziehen: die Wohnblocks sind umgeben von größeren Verkehrs- und Einkaufsstraßen, während es in der Mitte etwas ungeordnet wirkt. Hier gibt es Garagen, Kitas und Schulen und kleine Parkanlagen mit Fitnessgeräten und Spielgelegenheiten für die Kinder. Mir fällt positiv auf, dass es unterschiedliche Plattenbauten-Typen gibt, die für Varianz sorgen.
Die Chamber Hall ist ein weiterer heißer sowjetischer Moderne-Bau; auf dem Schild heißt es: „The biulding is unique, built on the principle of free planning.“
In der Gruppe der Jerevan Zugereisten sagt der eine: ich habe kein Wasser, der nächste, bei mir geht Strom nicht und die nächsten sagen, wie haben kein Internet!
8. Tag
Im Martiros Saryan House Museum, Spaziergang durch den Tunnel zum Fluss entlang der Kindereisenbahn
Die Ausstellung beginnt im dritten Stock und statt einer Biografie oder einer kunsthistorische Einführung, sind an einer Wand mehrere Zitate von Martiros Saryan (1880-1972) angebracht. Darin spricht er, der in Russland geboren wurde und seit 1921 in Jerevan lebte, davon, wie verbunden er dem Land ist, das durch den Genozid so gelitten hat.
Noch bevor wir uns die Werke anschauen, beginnen Esther und ich ein Gespräch über Nationalismus, denn ich empfinde die Texte als tendenziös – während Esther mit der speziellen Geschichte der Armenier*innen argumentiert.
Weil das Museum über ca. 200 Kunstwerke aus dem über 4000 Werke umfassenden Oeuvre von Martiros Saryan (1880-1972) hat, gibt es viel zu sehen, und man bekommt einen Überblick über alle Schaffensphasen + sein Atelier und seine Wohnräume. Stehen am Anfang klassische Zeichnungen und Ölbilder, werden seine Bilder immer surrealer bzw. flächiger. Seine Märchenbilder sind toll. Der war doch auf Droge, sage ich mit einem Schmunzeln zu Esther. Es gibt Stillleben mit Früchten und Blumen, Dorfszenen und Porträts von seiner Familie und Persönlichkeiten wie John Steinbeck. Und natürlich den Ararat, aber auch Szenen aus Ägypten und Konstantinopel, wohin er noch vor dem ersten Weltkrieg gereist ist, um dort seine Bilder auszustellen. Von 1926 bis 1928 lebte er in Paris und verlor bei der Rückfahrt durch einen Brand auf dem Schiff ein Teil seines Oeuvres.
Ich frage mich: Wann unterschreibt er ein Bild im russischen und wann im lateinischen Alphabet? Wie hat er sich mit der Politik arrangiert? Wie hat er selber Politik gemacht? Der Ausstellung mit Dokumenten und Fotos in seinen Wohnräumen im Erdgeschoß zufolge war er eine öffentliche Person, dessen Söhne wichtige Kulturämter bekleideten. Am Ende bekommen wir noch die Extra-Ausstellung aufgeschlossen, in der seine Schwiegertochter im Fokus steht. Die Mitarbeiterin erzählt uns von der großen Liebe zwischen Martinos und seiner Frau Loussik, die seine große Inspiration war. Am Ende fragt uns die Mitarbeiterin, ob wir im Zeiten Stock gesehen hätten, wie schön Armenien ist?
Beim Spazieren durch die Stadt habe ich schon oft gedacht, dass wär ein super Spot für Obdachlose. Oder anders: in Berlin würden sich hier an vielen Stellen Obdachlose ein Zelt aufgeschlagen oder eine Schlafnische eingerichtet haben.
Das finde ich auffällig: dass es hier so wenige Bänke gibt. Also nur in den Grünstreifen und an den Bushaltestellen. Dafür gibt es viele streunende Katzen und Hunde, für die manchmal neben die Mülltonne ein Teller mit testen gelegt wird. Wenn Leute mit Hunden Gassi gehen, sind es meist Dobermänner oder Schäferhunde.
9. Tag
Spaziergang zu den Kaskaden und dem darüber liegenden Gedenkort, Ausflug ins Kloster Geghad, Treffen an der Oper, Essen bei Smak Salat
Der Himmel ist klar und die Sonne scheint – ich kann zum ersten Mal den Ararat aus dem Fenster sehen, mache sofort ein Foto und beschließe zur Aussichtsplattform über den Kaskaden zu laufen. Wie nah der plötzlich ist! Ich kann nun verstehen, warum er so ikonisch ist …
Beim Warten auf den Bus nach Geghad habe ich genug Zeit mir anzuschauen, woher sie kommen: sie sind aus China von Zhong Tong und oder von MAN aus Deutschland. Manche sehen eher aus wie Kleinbusse oder Lieferwagen, auf einigen steht "Armbeton". Einige fahren mit offenen Türen, in anderen ist der Fahrer am Telefonieren.
Die Busse kommen nicht, wie es die App ansagt, an den Stationen sind weder die Busse noch die Zeiten angegeben, woher wissen die Leute, wann die Busse fahren?
Ich muss an David Wagner denken, der in seinem Buch Verkin beschreibt, wie er die ganze Zeit durch die Gegend kutschiert wird und bin ein bisschen neidisch. Gleichzeitig finde ich es auch gut, mich eben dieser Situation der Ungewissheit auszusetzen.
Beim Rausfahren aus der Stadt fadet die Stadt langsam aus, wird gewerbiger und unrepräsentativer. Gleichzeitig gibt es viele große neue Veranstaltungslokalitäten für Hochzeiten etc. Zudem sehe ich an zwei Stellen Schafe, die eng umzäunt, darauf „warten“ zum Opfern abgeholt zu werden.
Als es ländlicher wird, werden am Straßenrand Walnüsse, Ketten mit aufgezogenen roten Beeren, Quitten, Äpfel etc. verkauft, an anderen Ständen gibt es eingelegtes Gemüse. Dann gibt es immer wieder Imbisse, wo in im Boden eingelassenen Tonofen frisch dünnes Brot gebacken wird. Beim Kloster sind es weiße Tauben, die als Gimmick für sie Hochzeiten zum Verkauf feilgeboten werden.
Die holprige Straße, übersetzt sich in ein quietschendes Plastikgeräusch, das aus dem Dach zu kommen scheint.
Als ich aus dem Bus aussteige, um zum Kloster Geghard hochlaufen, ist der Bürgersteig mit Kuhfladen gepflastert, weiter oben komme ich mehrmals an Kühen vorbei, die hier offenbar frei herumlaufen.
Die spektakuläre Lichtführung, die Esther versprochen hat, ist genau das. Ein einzelner Lichtstrahl fällt in den Raum und ist als Licht bis auf den Boden verfolgbar. Ansonsten gibt es nur ein rundes Loch in der Decke, durch das Licht fällt, und dass durch eine kaskadenartige Struktur abfällt.
Das Zischen des Kerzenwachs‘ im Kloster, wenn es ins Wasser tropft.
Als ich mir beim Warten auf den Bus eine Zigarette anstecke, fällt mir wieder ein, was Esther mir über das Rauchen erzählt hat: dass das den Frauen in der Öffentlichkeit noch gar nicht so lange erlaubt ist.
Aus dem Bus heraus sehe ich einen Gefallenenfriedhof mit Flagge, Adlerskulptur am Eingang und opulenten Plastikgestecken. Da fällt mir wieder ein, was auf dem anderen Friedhof so besonders war: die in Stein gemeißeltenPorträts, die wahnsinnig realistisch aussahen.
10. Tag
Bus-Ausflug zum A1 und A2 Neighboorhood, Spaziergang zum Vitory Park mit der „Schwertfrau“ aka Mother Amenia
Das sich selbst überlassene und abgesperrte Freibad mitten in der Plattenbausiedlung verursacht mir Phantomschmerzen. Die These ist, dass nach der Wende die Wohnungen in Privatbesitz übergingen, und die öffentlichen Anlage in niemandes Hand, weswegen öffentliche Grünanlagen und Spiel- und Sportplätze, wie die Kindereisenbahn am Fluß, aber auch Kultureinrichtungen, wie das Freiluftkino häufig sich selbst überlassen sind und verkommen.
Am Ende des Spaziergangs gehen wir in eine neugebaute Kirche, die aber auch schon 100 Jahre alt sein könnte. Esther weist noch mal darauf hin, dass die meisten (alle?) Kirchen von den Sowjets platt gemacht wurden, und erst in den letzten 30 Jahren neue gebaut wurden. Als wir zur Mittagszeit drin sind, sind wir nicht allein. Irritierender Moment: Als die Besucher*innen rückwärts wieder rausgehen, weil sie Jesus nicht den Rücken zuwenden.
Wie toll ist das denn: das es hier ein Writers House gibt, genauso wie am Sevansee. Ich stelle mir das als Austausch- und Begegnungsort vor, der offener funktioniert als in Berlin, wo es ja auch ein literaturhaus gibt etc., aber eben mit kuratierten Programm.
Die Garagen aka Waschanlagen sind die Beauty Salons der Männer (Esther)
Was bedeutet es, dass die Stadt einerseits eine der ältesten Städte der Welt ist, aber gleichzeitig seine heutige Gestalt erst vor ca. 100 Jahre bekommen hat? Wie wirkt es sich aus, dass Armenien früher, als es noch Westarmenien hieß, bis weit in die Türkei reichte, und heute nur noch ca. ein Drittel so groß ist? Welche Spuren hat die Sowjetherrschaft von 1922 bis 1991 hinterlassen? Was macht es mit der Identität des Landes, dass sie erst 1991 mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein souveräner Staat wurde (die zwei Jahre Unabhängigkeit von 1918 bis 1920 ausgenommen)? Ist damit der Stolz auf das Land einerseits und das fehlende Kümmergefühl für den öffentlichen Raum andererseits erklärbar?