Sechser
Sechser
Fotos und Text: Anna-Lena Wenzel
Bei Durchstreifen meiner Nachbarschaft fällt mir immer wieder eine Zahl auf, die auf unterschiedlichsten Untergründen gemalt ist: die Ziffer 6. Spricht man sie aus, landet man schnell beim Sex. Interessanter finde ich jedoch die Beobachtung, dass die Ziffern – die oft von einem Smiley und den Domains .de oder .tk begleitet werden – auf ephemeren Materialien gemalt werden. Statt Wände zu „beschmieren“ dienen herumstehende Sofas, Müllsäcke oder Bretter als Untergrund, werden Plakate auf ihrer Rückseite bemalt oder temporäre Bodenbeläge oder Baustellenmobiliar als Malgrund verwendet. Zwar hat es ein bisschen gedauert bis ich dieses Prinzip verstanden habe, aber seitdem hat sich mein Blick dafür sensibilisiert, was permanent und fest im öffentlichen Raum installiert ist und was nach einer Weile wieder verschwindet. Erstaunlich sind der lange Atem und die Beharrlichkeit, mit der der Sechser aktiv ist. So tauchen die Sechsen schon seit Jahrzehnten in Berlins Stadtbild auf, wie mir Kenner*innen der Materie erzählt haben. Zudem wird regelmäßig nachgelegt. Ich stelle mir vor, dass da jemand nachts durch die Gegend zieht, ausgestattet mit dickem Pinsel und Farbe und seine Signatur hinterlässt, ähnlich wie ein Hund, der überall seine Duftmarke hinterlässt, um sein Revier zu markieren. Nur dass dabei nicht wahllos gepieselt wird, sondern genau geschaut wird, worauf gemalt wird. Für den Urheber hat dieses Vorgehen den Vorteil, dass er dafür rechtlich nur schwer belangt werden kann. Ein weiterer Vorteil dieser Art von Kunst: sie kostet nichts und kann mitgenommen werden. So hat der Künstler und Kurator Christof Zwiener eine 6 auf einer Herdplatte in seiner Wohnung hängen.