Auf der Straße I
Auf der Straße I
Immer wenn Handwerker, Techniker oder Mechaniker in meiner Nähe sind, überkommt mich dieses Unbehagen: Werden sie rausfinden, dass ich keine Ahnung habe? Soll ich besser einfach nichts sagen oder aufgeschnappte Worte wiedergeben, um mich zumindest einige Sekunden mit ihnen auf Augenhöhe zu fühlen? Nachdem ich den Besuch lang herausgeschoben hatte, machte ich mich im Sommer letzten Jahres endlich auf den Weg zum Fahrradladen.
Mein Bruder hatte mir eine kleine Kreuzberger Werkstatt empfohlen, ein Volltreffer, wie sich herausstellte. Die Reparatur ging vor dem Geschäft vonstatten, ich packte mit an und zu meiner Erleichterung und Überraschung benahm ich mich gar nicht mal so ungeschickt. Unterdessen stieß ein junger Radfahrer mit Basecap zu uns und verwickelte einen anderen Kunden, einen älteren Herrn, in ein Gespräch. Anschließend ging der junge Radfahrer ihm bei der Reparatur des Rades zur Hand – wie freundlich und solidarisch, dachte ich. Ich bekam dann noch mit, dass er dem älteren Mann sein Rad verkaufen wollte. Der zeigte sich zunächst interessiert, winkte dann aber ab.
Während ich mein umgedrehtes Rad konzentriert festhielt, bremste plötzlich ein Wagen mit quietschenden Reifen vor uns, aus dem ein junger kräftiger Mann herausgeschossen kam und brüllte: „Wem gehört das Rad?“, und zeigte dabei auf das Rad des Basecap-Manns. Niemand reagierte. „Wer hat das Rad da hingestellt“, fragte er nochmal anders. Aus dem Auto kam jetzt auch eine Frau heraus und wiederholte das Gesagte. Schließlich trat er an den Basecap-Mann heran: „Das gehört zu dir, stimmt’s?“ Der Angesprochene trat auf der Stelle und nuschelte unverständlich. Der junge Mann klärte uns jetzt auf: das Rad wurde ihm vor einer halben Stunde gestohlen, seitdem sucht er die ganze Gegend mit seinem Auto ab, um es wiederzufinden.
Kleinlaut stammelte der Beschuldigte: „Ne, ich hab‘s nur gefunden!“ Ich befürchtete, dass er sich gleich eine fängt und legte mir schon mal schlichtende Worte zurecht. „Nimm es, kein Problem“, sagte er schließlich weiter.
„Kein Problem! Du hast jetzt ein Problem“, brüllte der junge Mann: „Ich ruf jetzt die Bullen.“ Daraufhin flüsterte der Basecap-Mann: „Komm, bitte sei fair“. Dieser schrie: „Ich soll fair bleiben, du stiehlst mein Rad und ich soll fair bleiben? Ich ruf jetzt die Bullen!“
Gesagt, getan. Keine drei Minuten später sprangen vier junge Männer aus einem dunklen Fahrzeug und stellen sich als Polizisten vor.
Ungläubiges Staunen überkam alle Anwesenden: das sollen Polizisten sein? Einer hatte riesige Tunnel-Piercings in den Ohren, der zweite sah einfach mal zu schick für den Beruf aus und der dritte wirkte ziemlich runtergekommen. Wenigstens der vierte sah mit seinen aufgepumpten Armen und kurzgeschnittenem Haar ungefähr so aus wie ich mir einen Beamten vorstelle. Eine Wundertüte, diese Polizei von heute! Der mutmaßliche Fahrraddieb bekam schließlich Handschellen verpasst. Irgendwie überzogen, dachte ich. Er hat ja keine Anstalten gemacht abzuhauen.
Dann kam ein bärtiger Anwohner um die 50 vorbei und begann ein Gespräch mit uns: „Fahrradklauen ist schon richtig scheiße, aber die Bullen, die hält man da raus. Das klärt man unter sich – autonom“. Ein Mitarbeiter widersprach ihm, ein anderer Anwesender pflichtete dem Bärtigen bei: „Bullen lässt man besser außen vor“.
Das ist wohl das, was Kreuzberg immer noch besonders macht, denke ich. Auf jeden Fall werde ich jetzt öfter mal zum Fahrradladen gehen.