Begegnungen
Begegnungen
mit nackten Menschen
Text und Foto: Susanne Bürner
Der Fremde
Es war in der Übergangszeit – ich hatte meine karierte Wollhose an als ich aus der Schule kam, wo ich in der sechsten Klasse war. Es gab verschiedene Möglichkeiten die drei Kilometer Fußweg nach Hause zurück zu legen. Ich entschied mich für den Weg durch die Stadt, am Gasthaus Krone vorbei, dann über die Hahnenmühle am Bach entlang. Als der sich gabelte, hatte ich erneut die Wahl. Auf der kleinen Holzbrücke zur kürzeren Strecke stand ein Mann mit dem Rücken zu mir. Er trug einen olivfarbenen Trenchcoat und schien beschäftigt mit sich. Eher aus einem Gefühl als aus einem Verdacht heraus, wechselte ich zur anderen Seite der Gabelung, um die längere Strecke zu nehmen. Als ich links in gebührlichem Abstand an ihm vorbei ging, wandte er sich zu mir um und fragte mich nach der Uhrzeit. „Keine Ahnung“, entgegnete ich und starrte auf seine feisten beringten Finger, die sich an seinem nackten Genital zu schaffen machten. Er versuchte, mich weiter in ein Gespräch zu verwickeln: „auch nicht ungefähr?“
In meiner Erinnerung war es das erste Mal, dass ich einen Penis sah.
Los Angeles
Mein einjähriger Studienaufenthalt in Los Angeles war von Anfang an von dem Gefühl bestimmt, die mir knapp erscheinende Zeit bestmöglichst zu nutzen. Ich war intensiv mit einer neuen Fotoserie beschäftigt, dich mich durch die Vorgärten der Reihenhäuser von Los Angeles führte. Für die Angelitos war der Anblick einer jungen Frau, die mit einer Mittelformatkamera um den Hals zu Fuß durch die Straßen spazierte, ungewohnt, wie mir mehrere Begegnungen bestätigten. Einmal hielt ein großer rostbrauner Wagen neben mir auf der Straße. Der Fahrer beugte sich in meine Richtung und fragte mich, wie er am besten zum Pico Boulevard käme. Irritiert erklärte ich, dass er nur dahin zurück müsste, wo er hergekommen war. Er entgegnete nichts. Als er anfuhr, sah ich, dass er die ganze Zeit mit der Hand, die nicht am Steuer lag, seinen nackten Schwanz massiert hatte.
27.03.23
Instinktiv werden Menschen, die eine Abweichung von einer gemeinhin akzeptierten Norm präsentieren, von anderen gemieden. So heute in der U-Bahn. In der vollen Bahn saß ein Mann ohne Jacke allein in einem Vierer-Abteil; neben ihm ein einzelner Handschuh, auf dem ein in rote Alufolie eingewickeltes Schokoladenstück lag. Sein Haar war dunkel und stand wirr vom Kopf. Seine Erscheinung ähnelte einem jungen britischen Dandy in etwas verwahrloster Kleidung. Er starrte vor sich hin und wühlte gedankenverloren in seinen ungekämmten Haaren. Ohne den Blick zu verändern streifte er langsam seine Hose und Unterhose zusammen ab und saß schließlich so da – ab der Hüfte nackt, die Ellbogen auf die Schenkel gestützt – als ob es das normalste der Welt wäre.
Es war in der Übergangszeit – ich hatte meine karierte Wollhose an als ich aus der Schule kam, wo ich in der sechsten Klasse war. Es gab verschiedene Möglichkeiten die drei Kilometer Fußweg nach Hause zurück zu legen. Ich entschied mich für den Weg durch die Stadt, am Gasthaus Krone vorbei, dann über die Hahnenmühle am Bach entlang. Als der sich gabelte, hatte ich erneut die Wahl. Auf der kleinen Holzbrücke zur kürzeren Strecke stand ein Mann mit dem Rücken zu mir. Er trug einen olivfarbenen Trenchcoat und schien beschäftigt mit sich. Eher aus einem Gefühl als aus einem Verdacht heraus, wechselte ich zur anderen Seite der Gabelung, um die längere Strecke zu nehmen. Als ich links in gebührlichem Abstand an ihm vorbei ging, wandte er sich zu mir um und fragte mich nach der Uhrzeit. „Keine Ahnung“, entgegnete ich und starrte auf seine feisten beringten Finger, die sich an seinem nackten Genital zu schaffen machten. Er versuchte, mich weiter in ein Gespräch zu verwickeln: „auch nicht ungefähr?“
In meiner Erinnerung war es das erste Mal, dass ich einen Penis sah.
Los Angeles
Mein einjähriger Studienaufenthalt in Los Angeles war von Anfang an von dem Gefühl bestimmt, die mir knapp erscheinende Zeit bestmöglichst zu nutzen. Ich war intensiv mit einer neuen Fotoserie beschäftigt, dich mich durch die Vorgärten der Reihenhäuser von Los Angeles führte. Für die Angelitos war der Anblick einer jungen Frau, die mit einer Mittelformatkamera um den Hals zu Fuß durch die Straßen spazierte, ungewohnt, wie mir mehrere Begegnungen bestätigten. Einmal hielt ein großer rostbrauner Wagen neben mir auf der Straße. Der Fahrer beugte sich in meine Richtung und fragte mich, wie er am besten zum Pico Boulevard käme. Irritiert erklärte ich, dass er nur dahin zurück müsste, wo er hergekommen war. Er entgegnete nichts. Als er anfuhr, sah ich, dass er die ganze Zeit mit der Hand, die nicht am Steuer lag, seinen nackten Schwanz massiert hatte.
27.03.23
Instinktiv werden Menschen, die eine Abweichung von einer gemeinhin akzeptierten Norm präsentieren, von anderen gemieden. So heute in der U-Bahn. In der vollen Bahn saß ein Mann ohne Jacke allein in einem Vierer-Abteil; neben ihm ein einzelner Handschuh, auf dem ein in rote Alufolie eingewickeltes Schokoladenstück lag. Sein Haar war dunkel und stand wirr vom Kopf. Seine Erscheinung ähnelte einem jungen britischen Dandy in etwas verwahrloster Kleidung. Er starrte vor sich hin und wühlte gedankenverloren in seinen ungekämmten Haaren. Ohne den Blick zu verändern streifte er langsam seine Hose und Unterhose zusammen ab und saß schließlich so da – ab der Hüfte nackt, die Ellbogen auf die Schenkel gestützt – als ob es das normalste der Welt wäre.