...man in Neukölln

...man in Neukölln

Anna-Lena Wenzel / Foto: Ziegert Immobilien

Abschaum, Avantgarde und „blühende Landschaften“

„12053“ist der Name eines Wohnprojekts der Ziegert ‐ Bank- und Immobilienconsulting GmbH, das zurzeit auf dem Gelände der ehemaligen Kindl-Brauerei in Neukölln entsteht. Wir haben Zitate ihrer Homepage mit weiteren Aussagen über Neukölln kontrastiert, um die Leere dieser Marketing-Sprechblasen noch deutlicher zu Tage treten zu lassen. Aber auch, um darauf aufmerksam zu machen, wie sehr sich Neukölln im Wandel befindet – und prototypischer Schauplatz urbaner Interessenkonflikte geworden ist.

 

12053 – Ein Ufo im Rollbergkiez

„12053“ ist gleichzeitig Postleitzahl und Name des eleganten Wohnensembles auf dem Areal der früheren Kindl-Brauerei. Die Neubauten „Sudhaus“ und „Brauhaus“ überzeugen mit umweltgerechter Bauweise, viel Grün und ruhigen Höfen.

 

Neukölln ist aufregend. Besonders für Soziologen, die nicht nur die Konsequenzen der Gentrifizierung studieren können, sondern auch die Motorik einer neuen Avantgarde. Sie verleiht dem abgewrackten Stadtteil Glanz. Es sind nach Herausforderungen suchende junge Kreative, die sich aus den arrivierten Gebieten verziehen, um das Berliner Migrantenviertel zu beleben.


Insgesamt 119 Wohnungen bieten sehr gut durchdachte, praktische und offene Grundrisse und verfügen über wenigstens einen Balkon, eine Terrasse oder einen Privatgarten im Erdgeschoss. Zu der gehobenen Ausstattung zählen auch eine barrierefreie Liftanbindung bis in die Tiefgarage und „Feel good“-Bäder mit u. a. bodengleichen Duschen und „endless mirrors“ über dem Waschbeckenbereich.

 

In Neukölln ist fast die ganze Welt zu Hause. Rund 40 % der über 300.000 Einwohner sind selbst eingewandert oder stammen aus einer Einwandererfamilie. Im Norden des Bezirks wachsen 80 Prozent der Jugendlichen unter 18 Jahren in Einwandererfamilien auf. Insgesamt wohnen hier Menschen aus über 160 Nationen. In den sechziger Jahren kamen viele so genannte Gastarbeiter vor allem aus der ländlichen Türkei und zogen in die Altbauquartiere zwischen der Karl-Marx-Straße und dem S-Bahn-Ring. Hier standen viele Wohnungen leer, weil sich die deutschen Familien Häuser im südlichen Teil des Bezirks gebaut hatten oder die neuen Hochhäuser in der Gropiusstadt attraktiver fanden. In den achtziger und neunziger Jahren lösten Familien aus dem arabischen Raum die türkischen Familien in den Altbauvierteln ab, darunter viele Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon, Palästina und Syrien. Auch Menschen, die den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien entflohen waren, kamen hinzu. Neukölln ist deshalb wie kein anderer Berliner Bezirk geprägt von Zuwanderung, aber auch von sozialen Verwerfungen wie Armut und Arbeitslosigkeit.


DIE LAGE – Wohnen, wo niemand wohnen will

Das Wohnprojekt „12053“ befindet sich auf dem leicht erhöhten Areal der ehemaligen Kindl-Brauerei im nördlichen Neukölln. Dieser Ortsteil zeichnet sich durch eine in weiten Teilen geschlossen erhaltene Gründerzeitbebauung, seine hervorragende Infrastruktur und optimale Verkehrsanbindungen aus.

 

Ausführlich haben die Boulevardzeitungen über die dortige Parallelgesellschaft der arabischen Großfamilien berichtet, von Ghetto und von Gangs, von Gewalt und Verbrechen war die Rede. Wer konnte, so hieß es, zog weg.


Das weitläufige Gelände befindet sich zukunftsorientiert im Wandel: So zieht es z.B. die Kunstszene in das denkmalgeschützte Sudhaus der ehemaligen Brauerei und neben Verbindungen zu den Nachbarstraßen über eine Treppe ist ein neuer Stadtplatz geplant. Zusätzlich zu dem Gemeinschaftsgarten des Neubauensembles sorgen auch Neuköllns nahe gelegenen Oasen, wie z.B. das Tempelhofer Feld, auf dem früheren Flughafengelände für grüne Auszeiten und den kleinen Urlaub zwischendurch.

 

Seinen kritischen Ruf hat der Stadtteil allerdings nicht ohne Grund: Laut dem Berliner Quartiersmanagement gibt es in keinem anderen Stadtteil so viele Gegenden, die von Armut und sozialer Benachteiligung geprägt sind. Spätestens der Hilferuf der Lehrer der Rütli-Schule im Jahr 2006 machte den Stadtteil bundesweit als vermeintliche No-Go-Area berühmt.


AUFBLÜHEN IM GRÜNEN KIEZ – „Hast Du Problem?“

Der Norden Neuköllns zeichnet sich durch seine in weiten Teilen geschlossen erhaltene Gebäudesubstanz der Gründerzeit aus. Diese verleiht den Gebieten rund um die Karl-Marx-Straße eine historische Identität. Parallel zur Karl-Marx-Straße werden in der Mainzer Straße, zwischen den denkmalgeschützten Gebäuden der ehemaligen Kindl-Brauerei, zwei neue Häuser errichtet.

 

Hinter dem S-Bahnhof [Sonnenallee] löst sich das gewohnte Muster der Straßen allmählich auf. Man überquert den Kanal, an dessen Ufer das “Estrel”-Hotel mit kantigem, architekturmodernen Stolz vor sich hin funkelt. Dahinter warten leere Fabrikhallen und Gewerbebauten auf ihren Abriss. Das Trümmerfeld einer ehemaligen Kleingartenkolonie, die man für den Bau der Stadtautobahn A100 vorsorglich dem Erdboden gleichgemacht hat, verbreitet Trostlosigkeit. Ein Stück weiter, auf der anderen Straßenseite, haben McDonald’s und Aldi überlebt.


Bauherr und Architekt achten bei der Planung mit Sorgfalt darauf, dass sich die Architektur der Fassaden an die der umliegenden Gründerzeitarchitektur anpasst, um ein harmonisches Gesamtbild zu erschaffen.

 

Sie [Stadtteilführerin Gül-Aynur Uzun] freut es einerseits, dass immer mehr Studenten in Neukölln ihre WGs gründen. Das Viertel sei bunter und lebendiger geworden, auch durch die neu zu gezogenen Künstler. Andererseits habe die Popularität des Viertels die Mieten in die Höhe getrieben und viele Immigranten mit geringem Einkommen könnten sich die Wohnungen nicht mehr leisten, würden an den Stadtrand gedrängt. Gleichzeitig erfüllt die neue Beliebtheit ihres Kiezes Gül mit einem gewissen Stolz: "Bei all den negativen Schlagzeilen dachte man ja selbst irgendwann, Neukölln ist der Abschaum."


In den Häusern „Brauhaus“ und „Sudhaus“ entstehen insgesamt 119 Eigentumswohnungen. Die sechs Penthäuser hoch auf den Dächern ergänzen die Häuser um einen Hauch von Luxus. Ihre weitläufigen Dachterrassen öffnen den Blick auf das belebte Neukölln und die Berliner Skyline.

 

Jetzt steht auch hier eine Aufwertung bevor, die Mieten werden steigen, die Bewohnerstruktur durch die höherwertigen Neubauten heterogener.

 

Quellen:

http://ziegert-immobilien.de/

http://www.berlin.de/tourismus/insidertipps/2170782-2339440-neukoelln-die-hotspots-in-berlins-neuent.html

http://www.berlin.de/ba-neukoelln/migrationsbeauftragten/integrationspolitik.html

http://www.neukoellner.net/macht-marchen/ein-ufo-im-rollbergkiez/

http://www.stern.de/politik/deutschland/buschkowsky-buch-neukoelln-ist-ueberall-hast-du-problem-1898264.html

http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/vom-problembezirk-zur-a-lage-i-love-new-coelln-11498573.html

 

 

Mo, 11/24/2014 - 12:53
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