Ausverkauf am Kotti

Ausverkauf am Kotti

Text: Anna-Lena Wenzel, Collage: Silke Bauer

Ein Zustandsbericht des Theaterkollektivs copy & waste

 

Im November 2014 führte copy & waste rund um den Kottbusser Platz den perfomativen Audiowalk "Nasty Peace" durch. Ziel des Stückes war es, die Veränderungen vor Ort zu thematisieren und besonders die Privatisierungstendenzen aufs Korn zu nehmen. Weil die Pressemitteilungen schon wie Prosawerke des copy & waste Hausautors Jörg Albrecht klingen, beginnen wir mit einer längeren Passage:

 

„It’s not great living in the 21st century: Am Kottbusser Tor in Kreuzberg wehren sich Menschen seit Jahren gegen drastisch steigende Mieten und die Verdrängung der seit Jahrzehnten dort lebenden, meist türkischstämmigen Anwohner. Dort schicken copy & waste das Publikum in einen Audiowalk – und zugleich in Verteilungskämpfe um Wohnraum, Geld und Liebe.

 

In den Kopfhörern ist zu hören, wie sie klingt: die Aufteilung der Beute.

Während Menschen aus Ost und West euphorisch feiern, begann die eine Ordnung, die andere zu schlucken. Die Könige des global capital ließen ihre Reiche wachsen, der Rest konnte zusehen. Games of Zones: Immobilien, Genossenschaften, Biographien wurden zur Jagd freigegeben und erlegt.

 

Aber wer gewinnt noch, wenn Gesellschaft so erodiert? Wer waren und sind die großen Gewinner und Verlierer der Verteilung? Und was macht es mit uns, wenn das Geteilte immer mehr privatisiert wird, wenn wir ein Ding oder einen Menschen nur besitzen wollen, um Rendite zu erzielen?

 

Zeit, die Behauptung, es habe seit den siebziger Jahren keinen Krieg gegeben, radikal zu verneinen. copy & waste inszenieren die große Endschlacht: Schwerter, Streitschlösser und Drachen - alle Waffen sind in diesem Bürgerkrieg namens Privatisierung erlaubt. Denn ausgebreitet hat er sich ohnehin bis in entlegene Stadtviertel und in den Körper jedes Einzelnen hinein.“[1]

 

Für einen Schlachtaufruf hat das Ganze allerdings einen recht seriösen Rahmen, denn es beginnt mit einer klassischen Auktion (des Kotti) und endet versöhnlich mit einer lichten Tafel und dampfender Suppe im West Germany. Dazwischen wird man in Kleinstgruppen die U-Bahn hinab, das Kreuzbergcenter hinauf, in den Hinterhof zum Parkhaus hinaus und ins Hostel hinein geschickt. Brav hält man sich an die Anweisungen und versinkt in aufmerksames Schweigen. Die Stimmen kommen oft polyphon und stakkatoartig, es ist gar nicht so einfach, die verschiedenen Textkonglomerate und vielen Informationen am Ende in eine Aussage zu quetschen. Aber das ist beim großen Diskurstheater von René Pollesch auch nicht anders.

 

Also: Es geht um Enteignungen und die Folgen von Privatisierungen. Dafür werden sowohl die Proteste von Kotti und Co gegen Mieterhöhungen vorgestellt (man läuft direkt am Protestcamp vorbei) als auch auf die Folgen der Wende 1989 verwiesen. Es ist gewagt, diese beiden Entwicklungen übereinanderzulegen, aber auch anregend über eventuelle Parallelitäten und Unterschiede nachzudenken. Bei copy & waste heißt es dazu mal wieder wohlformuliert: „Dabei verstehen wir die Wende vor allem als die Umwendung zu einer Ordnung des Privaten, die von der Regierung Kohl beherzt und herzlos zugleich durchgesetzt, von der Treuhandanstalt vorgemacht und von der Regierung Schröder bis in die Körperzellen des Einzelnen hineingetragen wurde – mit Hartz IV, der endgültigen Nachricht, daß alle nur noch für sich selbst verantwortlich sind und für niemanden sonst.“[2] Das leuchtet ein. Und dann haben die Ossis damals kurz hinter der Grenze auch noch die Gangs vom Kotti übers Ohr zu hauen versucht…

 

Vielleicht wird man beim Rundgang auch deshalb mehrmals dazu aufgefordert vorsichtig zu sein. Schließlich läuft man mehrmals an der Junkieszene vorbei, die sich täglich am Kotti trifft. Doch außer der Betörung durch Marihuanaduft kommt es zu keinerlei Zwischenfällen. Im Gegenteil: mein Kumpel wird sogar angesprochen, ob mit uns alles in Ordnung wäre – wir würden so verstrahlt durch die Gegend laufen.

 

Alles in allem wird dem Kotti, in all seiner Heterogenität, in seinem multikulturellen Nebeneinander und historischen Übereinander ein grandioses Denkmal gesetzt. Auf das es zum Denken und Erhalten anregt, denn die Bedrohungen in Form von Aufwertungen bzw. Entwicklungsplänen, von weiteren Mieterhöhungen und einer wachsenden Anzahl von Currybuden und Coffeeshops, die zum kurzzeitigen Verweilen und Konsumieren einladen, sind sehr real.

 

Da hilft es schon sich die Zeit zu nehmen, einmal ganz genau hinzuschauen – und mit dem Gecekondu oder dem alternativen West Germany zwei Orte vorgestellt zu bekommen, die den Veränderungen etwas entgegenstellen und konkrete Handlungsmöglichkeiten anbieten. Das Format Audiowalk setzt die BesucherInnern schon mal in Aktion, aber es wäre gut, wenn das Stück es schafft, nachhaltige Auseinandersetzungen und Schlachtrufe zu folgender Frage anzuregen: „Worum geht es uns heute, hier, in dieser Stadt? Darum, nur unser eigenes Leben möglichst kuschelig zu gestalten und dafür irgendwie das nötige Geld zu verdienen? Oder darum, sich als Teil einer Stadtgesellschaft zu begreifen, die davon lebt, daß in ihr Menschen aller möglichen Backgrounds aufeinandertreffen?“[3]

 

 


[1] http://copyandwaste.de/nasty-peace/

[2] http://copyandwaste.de/winter-was-coming/

[3] http://copyandwaste.de/winter-was-coming/

 

Fr, 12/26/2014 - 19:20
Kurzbeiträge

Einwürfe

Spaces of Solidarity Der Kiosk of Solidarity macht Station in einer Ausstellung im Deutschen Architektur Zentrum
Parasite Parking Logbuch einer öffentlichen Intervention von Alexander Sacharow und Jakob Wirth

Fundsachen

found footage-sculptures Patrick Borchers unterwegs in Neapels Straßen
Dickpic-Galerie Die Journalistin Anne Waak postet a

Straßenszenen

Asphaltrisse Risse in Berliner Straßen fotografiert von Heide Pawlzik.
Neun falsche Hennen Die Welcomecitygroup feiert Junggesellinenabschied auf der Reeperbahn in Hamburg
Städtische Arrangemens in Comănești

Die Fotos und der Text stammen au

So klingt

Istanbul II Im November 2022 verbringt Zora Kreuzer

So lebt

es sich 20 Tage im Grenzturm Im Herbst 2019 hatten Kirstin Burckhardt
man im Olympiapark 1953 begonnen Timofej Wassiljewitsch Pro
der Vogel in der Stadt Vögeln-Nistkästen-Modelle für eine bessere Kohabitation