Kämpfe um Teilhabe und Demokratie

Schwerpunkt: Kampfzone Berlin

Kämpfe um Teilhabe und Demokratie

Interview mit Heimo Lattner über die "Berliner Hefte"
von Anna-Lena Wenzel


Du bist Teil einer Arbeitsgruppe, die die Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt herausgibt. Diese „Hefte thematisieren die sozialen, kulturellen und ökonomischen Veränderungen in Berlin.“ Um was für Veränderungen geht es euch?

 

Die Begriffe Teilhabe und Partizipation sind aktuell sehr inflationär. Das Wahlposter der Partei Die Linke anlässlich der Wahl zum Abgeordnetenhaus hat z.B. mit dem Slogan Die Linke... und die Stadt gehört euch geworben. Der Satz suggeriert ja auch, dass die Stadt jemandem gehört, jemand anderem als mir. Aber wie könnte dieses „Recht auf Stadt“ aussehen, wie organisiert sich das? Wie gestaltet sich „echte“ Teilhabe? Welche Modelle wurden erprobt, welche davon bieten heute noch eine Option und welche neuen Strategien gilt es zu entwickeln? Also: wie erreichen wir „the next level“? Wir haben die Berliner Hefte ins Leben gerufen, um historisch reflektierend in aktuelle Debatten einzugreifen, respektive daran teilzunehmen.

 

Was war euer Antrieb? Was hat euch bewogen weiter zurückliegende Ereignisse/Diskurse wie die Mauerpark Affäre, noch einmal anzuschauen und zu thematisieren? Wollt ihr Dinge ans Licht holen, die bisher zu wenig (kritische) Aufmerksamkeit bekommen haben oder wollt ihr positive Beispiele für erfolgreiche Kämpfe vorstellen und bekannter machen?

 

Zunächst verweist die Affäre im Titel des Heftes nicht nur auf einen Skandal, sondern auch auf ein leidenschaftliches Verhältnis zu einem Ort. Die Entstehungsgeschichte des Parks entstammt sprichwörtlich einer „Graswurzelbewegung“. Am Anfang, 1990, steht die Pflanzung von Bäumen in Selbstermächtigung auf einer ehemaligen Grenzanlage durch die Bürger*innen der Stadt. Daraus entstand die Idee eines Stadtbiotops. Den ursprünglichen Gedanken, der Feier der Überwindung einer Staatsgrenze und der (Wieder)-Erlangung eines öffentlichen Raums, hat man im Laufe der Jahre wegverhandelt. Die Entwicklungen rund um den Mauerpark sind zumindest aus zweierlei Perspektiven interessant: Zum einen betreten wir die Nachwendepolitik der BRD und der Stadt Berlin. Zum anderen lässt sich anhand des 25 Jahre währenden Prozesses nachvollziehen, wie sich aus dem Konzept der privaten-öffentlichen Hand zusehends eine diabolische Figur entspinnt.

 

Mit Hannah Arendt existiert die Verpflichtung „verstehen zu wollen“. Viel Wissen um die historischen Zusammenhänge der Stadt (der Städte) liegt brach und zahlreiche historische Ereignisse wurden noch nicht oder nur unzureichend aufgearbeitet. Unser Anspruch an die Hefte ist es, seriöse Recherche zu konkreten Ereignissen oder Orten, mit einem Anspruch an das Schreiben und das Produzieren von Bildern zu verknüpfen.

 

Versteht ihr euch eher als Reflektor*innen dieser städtischen Prozesse oder als Akteur*innen?

 

Wiederum trifft beides zu. Wie gesagt: Wenn man in aktuelle Prozesse intervenieren möchte, müssen die historischen Zusammenhänge und nötiges Fachwissen einfach klar abrufbar sein.

 

Die ersten beiden Ausgaben zur Mauerpark Affäre und der Legende vom sozialen Wohnungsbau sind bereits erschienen. Welche weiteren Themenschwerpunkte sind geplant?

 

Aktuell ist ein Heft in Arbeit, das sich mit dem Marx-Engels-Forum und dem Stadtraum zwischen Schloss und Alexanderplatz beschäftigt. Es hat im vergangenen Jahr auch ein Beteiligungsverfahren gegeben mit dem Titel „Alte Mitte. Neue Liebe“. Konkret steht die Frage im Raum, wie mit diesem Ort und seiner Geschichte umgegangen werden soll. Ist die Ostmoderne erhaltenswert oder wollen wir doch lieber den Nachbau einer mittelalterlichen Stadt? Aus den Veranstaltungen in der nGbK werden sich noch zwei weitere Hefte in diesem Jahr generieren.

 

Von 1946 bis 1949 gab es bereits eine Zeitschrift, die sich Berliner Hefte für geistiges Leben nannte und die, da sie im französischen Sektor herausgegeben wurde, einen deutlichen französischen Einschlag hatte. In der ersten Ausgabe heißt es: „Wenn wir unsere Zeitschrift „Berliner Hefte“ nennen, so taten wir es, die wir unter dem Schutze der Trikolore stehen, mit Bedacht, denn diese Stadt hat nun einmal ihre Sendung. Ihre Kultur ist nicht zuletzt von der französischen Kolonie der vertriebenen Hugenotten entscheidend beeinflusst worden. Aber es sei ferne von uns, dem öden Lokalpatriotismus zu huldigen. Jene Kultur des 18. Jahrhunderts wiederzuerwecken, da Bildung und Aufklärung noch nicht ihres hohen Sinnes entkleidete Begriffe waren, wäre Ziel, aufs Innigste zu wünschen.“ Habt ihr euch von dieser Zeitschrift inspirieren lassen?

 

Nein, das Verlagsstatement ist keine Referenz für unsere Heftreihe. Es gab übrigens eine ganze Reihe Berliner Hefte, z.B. die Berliner Hefte zur Geschichte des literarischen Lebens oder die Berliner Hefte zur interkulturellen Verwaltungspraxis, die Berliner Hefte – Zeitschrift für Kultur und Politik und andere. Unsere Setzung umfasst die sozialen, kulturellen und ökonomischen Veränderungen in Berlin und anderen Städten.

 

Warum habt ihr euch für eine Publikationsreihe und nicht für eine Webseite entschieden?

 

Das liegt zum einen an unserer Neigung zu Büchern. Die Entscheidung zu publizieren begründet sich aber auch darauf, das Publizieren als künstlerisches Format zu verstehen, mit dem sich gesellschaftlich und politisch intervenieren lässt. Bücher und Hefte schaffen auch einen gewissen sozialen Raum, z.B. beim Verkaufsgespräch in der Buchhandlung, zwischen Vertreter*innen und Buchhändler*innen, Buchhändler*innen und Kund*innen oder bei Lesungen. Und sie haben auch noch mal eine reale, physische Präsenz in der Stadt.

 

Die Publikationsreihe ist gekoppelt an eine Ausstellung in der nGbK mit dem Titel Ene Mene Muh und welche Stadt willst Du?[1] Was ist dort zu sehen?

 

Zunächst ein Raumdiagramm, das wichtige historische Momente umspannt und in Beziehung setzt. Veranschaulicht werden die Themen „Ermächtigung“, „Augenhöhe, „Kontrolle der Politik (durch die Bevölkerung)“ und „Selbstverwaltung“ anhand historischer und zeitgenössischer Fotografien, Videos und Publikationen. Begleitet wird das Diagramm durch Dokumentarfilme, ein umfangreiches Diskussionsangebot in Form von Radiolesungen, Vorträgen und Gesprächen zu den Themen urbane Gemeingüter, öffentliche Liegenschaften, Wohnungspolitik, Community Organizing und direkte Demokratie.



[1] Die Ausstellung in der nGbK läuft bis zum 3.10.2016. Siehe auch den Beitrag: Welche Stadt willst du? Auf 99% Urban in der Rubrik „Einwürfe“.

Kurzbeiträge

Einwürfe

Spaces of Solidarity Der Kiosk of Solidarity macht Station in einer Ausstellung im Deutschen Architektur Zentrum
Parasite Parking Logbuch einer öffentlichen Intervention von Alexander Sacharow und Jakob Wirth

Fundsachen

The Black Triangle 360 schwarze Dreiecke in Wien dokumentiert von Peter Schreiner
found footage-sculptures Patrick Borchers unterwegs in Neapels Straßen

Straßenszenen

Asphaltrisse Risse in Berliner Straßen fotografiert von Heide Pawlzik.
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Die Fotos und der Text stammen au

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