東京画
東京画
Tokyo-Ga (Bild von Tokyo[1])
Ich reise seit fast zwanzig Jahren nach Tokyo, der Stadt, die für mich eine besondere Stadt ist und bleiben wird. Bei meinen ersten Besuchen hatte ich nicht einmal das Geld für Fahrkarten des öffentlichen Nahverkehrs und habe mir diese Megacity erlaufen.
Das wochenlange ziellose Streunen durch Tokyo ganz im Geiste des dérive erwies sich als Glücksfall der Möglichkeiten, jene Stadt über all die Jahre hinweg immer besser kennenzulernen und begleiten zu können, eine Stadt ohne Straßen und ohne Zentrum. Und eine Stadt, in der verwinkelte Gassen als erweiterter Wohnraum dienen, gleichberechtigt neben den Hochhausvierteln. Das japanische Baurecht hat wesentlichen Einfluß auf die Gestalt der Stadt, zum einen durch den Katastrophenschutz und zum anderen durch das nisshô-ken: dieses „Recht auf Sonnenlicht“ garantiert jedem Haus mehrere Stunden Licht pro Tag und bestimmt somit die Abstände der Bauten.
Anfänglich noch umgeben von der völligen Unverständlichkeit einer mir unbekannten Sprache und somit selbst sprachlos: „Ich lebe in einem Zwischenraum, der frei von jeder Bedeutung ist.[2]“
Nach all den Jahren und trotz Erlernens der Zeichen schätze ich diesen Zwischenraum noch immer.
[1] Tokyo-Ga nennt sich auch ein Dokumentarfilm von Wim Wenders aus dem Jahr 1985: Genau 20 Jahre nach dem Tod des japanischen Filmemachers Yasujiro Ozu 1963 reist Wim Wenders zum ersten Mal nach Tokyo, um vor Ort nach den Spuren eben jener Stadt zu suchen, der Stadt Ozus, der Stadt dieses ‘japanischsten aller japanischen Filmemacher‘ (zitiert nach Donald Richie: Ozu. His Life and His Films, University of California Press, 1977)
[2] Roland Bartes: Im Reich der Zeichen, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1981, S. 22. Dieses schmale Bändchen sei hiermit wärmstens empfohlen, eine staunende Annäherung des Autors an Tokyo bzw. Japan vor dem Hintergrund der Zeichentheorie.