Die nicht finanzialisierte Stadt denken und machen?

Die nicht finanzialisierte Stadt denken und machen?

Ein Gespräch über Möglichkeiten, der Finanzialisierung zu entkommen und Alternativen zu schaffen
Jana Gebauer, Kathrin Gerlof, Naomi Hennig, Katrin Lompscher, Pheli Sommer, Konzeption, Moderation und Bearbeitung: Jana Gebauer, in Kooperation mit OXI – Wirtschaft anders denken
Es war einmal eine geteilte Stadt. Darin stießen privat-politische Baumischungen mit Vorgärten oder Hinterhöfen an einheitlich volkseigenen Mauer- und Wohnplattenbau. Nach dem systemischen Rückbau der Mauer wie auch etlicher Platten wurden neue Räume erst frei und dann zu Märkten. Die bringen nun die Platte zurück, warum auch nicht? Nur bauen sie auch wieder Mauern auf: Wer kein Geld hat, findet sich außerhalb wieder. Und wieder ist die Stadt geteilt … Reden wir also über überteuertes Wohnen auf irr-richtenden Märkten, über spekulatives, konzentriertes und nicht einsehbares Eigentum an den Häusern unserer Stadt. Wir treffen uns dafür in einer Ost-Platte in Berlin-Mitte: Als das Haus zusammen mit weiteren Wohnbauten 1995 zum Verkauf stand, griffen die Mieter*innen selbstorganisiert zu. Heute, an einem sehr warmen Tag im Mai 2022, freuen wir uns über den Blick auf die mitgenossenschaftlichen Nachbarhäuser und viel kühlendes Grün, während wir uns zwischen Kaffeetassen, Mikrofonkabeln und Laptops begrüßen: Pheli Sommer ist Ethnologin und Register-Biografin. Sie erforscht normative Konzepte in Verwaltungsprozessen und Dateninfrastrukturen und fragt, was Eigentum für uns bedeutet und welches Wissen wir darüber wie – oder auch nicht – sammeln. Naomi Hennig ist Forscherin, Kuratorin und Künstlerin. Sie arbeitet zu ökologischen und sozialen Fragen von Stadt und Land und ist dafür angewiesen auf öffentliches Wissen zum Eigentum. Wertschöpfungsketten gehören zu ihren Forschungsobjekten. Kathrin Gerlof ist Autorin, Journalistin und ehrenamtliche Vorständin der Wohnungsgenossenschaft, in der wir uns treffen. Sie bringt das Nicht-/Wissen über Eigentumsfragen in die Zeitung und übersetzt es so, dass Denken und Handeln jenseits des Eigentums möglich werden. Katrin Lompscher ist ihre genossenschaftliche Ko-Vorständin und war schon Bauarbeiterin, Stadtforscherin und Stadtentwicklerin. Als Stadtpolitikerin musste sie mit dem Nicht-/Wissen umgehen und Handlungsspielräume für kommunale Wohnungspolitik schaffen. Die derzeitige Situation beschreibt sie so:

Katrin L.: Seit den 2000er Jahren erlaubt die Bundesgesetzgebung Investorenfonds im Wohnungssektor. Eine der ersten, sehr bitteren politischen Erfahrungen damit war 2004 der Verkauf einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft, der GSW, an zwei solche Hedgefonds. Seit 2008 steigt das gar nicht ‚scheue‘ Kapital zunehmend in den Immobiliensektor ein. Das trifft in Berlin mit vielen Aufschwüngen zusammen, auch bei der Einwohnerzahl. Der Kapitalandrang und die wachsende Nachfrage führen dazu, dass wir absurd steigende Preise haben – bei Mieten, Boden, Eigentumswohnungen. Das alles beeinflusst die politischen Handlungsspielräume. Ein krasses Beispiel sind die Versuche, das kommunale Vorkaufsrecht in den Milieuschutzgebieten wahrzunehmen. Bevor das Bundesverwaltungsgericht Ende vorigen Jahres dieses Recht kippte, trat die Stadt oft in Kaufverträge zwischen privaten Akteuren ein. Gerade kann man fast froh sein, dass sie das nicht mehr machen kann, denn diese Kaufverträge wurden immer hochpreisiger: Für das gleiche Geld bekam man immer weniger Wohnraum zurück. Ich hoffe, der Bund reformiert das Gesetz bald. Aber es braucht auch eine Balance zwischen dem politischen Handlungsspielraum und dem finanziellen Aufwand, den man dafür betreiben muss. Das ist vollständig aus dem Ruder gelaufen. Geld mit Immobilien zu machen ist zwar keine Erfindung unserer Zeit, das hat es schon in den Gründerzeiten Berlins gegeben: Die Terraingesellschaften, die die Stadt in der Form gebaut haben, wie wir sie jetzt kennen, waren auch Immobilienspekulanten. Aber das hat heute eine andere Dimension, weil es ein globales Phänomen geworden ist und dem Kapital die Anlagemöglichkeiten ausgehen.

Dem, was wir dieser Finanzialisierung der Stadt politisch und gesellschaftlich entgegensetzen können, nähern wir uns über die Frage: Was bedeutet uns Eigentum?

Pheli: Wohneigentum bedeutet für viele erst einmal Sicherheit, Privatsphäre und Raum zur persönlichen Entfaltung. Damit wird argumentiert, seit sich Menschen in Europa aus feudalen Abhängigkeiten befreiten und Eigentum als das zentrale Mittel für ihre Gleichheit sahen. So auch in den aktuellen Debatten um die Enteignung von Immobilienkonzernen: Eigentum gilt vielen als das kleine bisschen Sicherheit, das der Staat nicht nehmen darf. Aber Art und Ausprägung von Immobilieneigentum heute bieten eben gerade keine Garantie für Privatsphäre, Sicherheit und individuelle Freiheit, denn die Mehrheit hat gar keinen Zugang zu diesem Eigentum. Stattdessen konzentriert sich Wohneigentum immer häufiger bei Holdingstrukturen, die wiederum Eigentümern[1] gehören, die nicht an der Lebendigkeit und am Erhalt des Ortes interessiert sind. Das Eigentumsrecht sorgt dann dafür, dass Briefkastengesellschaften Menschen auf die Straße setzen und ihnen gerade Freiheit, Sicherheit und Privatsphäre nehmen können.

Kathrin G.: Zur Ursprungsidee gehört auch, dass die Eigentümer*innen und das Eigentum selbst eine identifizierbare Einheit bilden und Eigentum so in gewisser Weise an Verantwortung gekoppelt ist. Ein guter und wichtiger Punkt. Nur gründet die derzeitige Wirtschaftsweise nicht auf dieser Ursprungsidee, sondern darauf, mit einer zunehmenden Konzentration von Eigentum und Strukturen wachsende Profite zu generieren. Die stehen in keinerlei Bezug zu einem eventuell guten Zweck des Eigentums und mit dieser Trennung haben wir es in der Stadt wesentlich zu tun. Aber wenn wir die Eigentumsfrage stellen, müssen wir immer erst verteidigen, dass wir nicht die Eigentümerin meinen, die sich zur Familienfür- und Altersvorsorge ein Häuschen erarbeitet hat. Deshalb geht es auch um eine positive Rückeroberung des Eigentumsbegriffs: Was bedeutet die Kopplung von Eigentum und Verantwortung und wen wollen wir in solch einer Verantwortung sehen? Und besonders müssen wir diskutieren, wie es passieren konnte, dass ein nicht vermehrbares Gut wie Boden überhaupt zu Eigentum erklärt wurde und heute für Spekulation übelster Art freigegeben ist. John Locke, Begründer des Liberalismus, hat gesagt: Nimm ein Stück Acker, nimm ein Pferd und wenn das Pferd den Acker beackert, gehört nicht nur der Acker dir, sondern auch alles, was darauf wächst. Und die Leute, die da arbeiten, gehören im Zweifelsfall auch dir, zumindest deren Arbeit. Aber was macht es so unanfechtbar, dass dieses unvermehrbare – dieses sogar vernutzbare – Gut weiterhin als Eigentum gelten und man es anderen, vor allem dem Gemeinwohl, also der Verantwortung, entziehen kann? Hierin liegen sowohl die Faszination für das Desaster als auch die Möglichkeit für das Tun.

Naomi: In unserem Projekt zur De/Finanzialisierung der Stadt geht es uns auch darum, zunächst grundsätzlich die Rolle von Eigentum im Kapitalismus zu verstehen. Zentrale Denkanstöße kommen natürlich von Marx’ Grundrententheorie mit den wesentlichen Komponenten kapitalistischer Wertschöpfung: der produzierenden Wirtschaft, dem fiktiven Bereich der Finanzwirtschaft und dem Boden. Grundeigentum ist also eine der drei Säulen des Kapitalismus. Finanzialisierung stellt eine Bedrohung für das Gemeinwohl dar, seit in den 1970er Jahren die neoliberale Allianz von Finanzkapital und Grundeigentum entstanden ist, die extremes Wachstum auf der Grundlage von Rentenabschöpfung und Renditen ermöglicht. Das geschieht dann auf dem Rücken von lohnabhängig Beschäftigten und anderweitig Tätigen, die eben oft Mieter*innen sind. Die Beschäftigung mit diesen basalen Fragen von Wertschöpfung finde ich wichtig, um zu verstehen, welche Rolle der sogenannte Mietenwahnsinn innerhalb des sich verändernden wirtschaftlichen Systems spielt.

Katrin L.: In Berlin war ja Wohneigentum so lange nicht interessant, wie man günstig zur Miete wohnen konnte. Es kaufte nur, wer zu viel Geld hatte oder in eine bestimmte Gegend wollte. Und alle anderen fanden: schön doof. Das hat sich geändert: Die Mietkosten heute machen es notwendig, über Eigentum nachzudenken. Insofern ist die Möglichkeit, Wohneigentum zu erwerben, ein Zugewinn an persönlicher Sicherheit – und ‚doof‘ dran, wer nur mieten kann. Als Pragmatikerin würde ich das Eigentum nicht vollständig infrage stellen – aber an Kriterien binden. Was wir hier als problematisch markieren, ist die Konzentration bei institutionellen Eigentümern, die nach rein ökonomischen Interessen entscheiden und keinen Bezug zur Nutzung der Immobilien und des Bodens sowie zur Lebensrealität der Leute herstellen können. Besteht eine Chance, dem etwas entgegenzusetzen? Natürlich ist es möglich, im Grundbuch öffentliche Lasten einzutragen. Über das Planungsrecht können so Eigentümer an gemeinschaftliche, öffentliche Interessen gebunden werden. Wir müssen solche Möglichkeiten nutzen und für verschiedene Lebensrealitäten konkretisieren, um Eigentümer in die Verantwortung zu nehmen, die im Grundgesetz steht: „zum sozialen Gebrauch“. Dann hätte man vielleicht auch nicht mehr so große Angst davor, dass es verschiedene Eigentümer gibt. Immobilien im privaten Besitz sind zu 50 Prozent vermietet und zu 50 Prozent in Eigennutzung. Von diesen Eigennutzern sind wiederum fast 40 Prozent schon im Rentenalter. In West-Berlin gibt es diverse Einzeleigentümer, denen ein oder zwei Häuser gehören – die sie dann vererben. Also ist die Frage auch, wie es gelingt, das sehr verbreitete Einzeleigentum davor zu schützen, in ein konzentriertes Eigentum zu wechseln. Darauf haben wir noch keine Antworten, aber es ist wichtig.

Pheli: Das Problem ist, dass der Staat konzentriertes Eigentum – nennen wir es Grund- und Immobilienvermögen – nicht sieht. Das Ordnungssystem des Grundbuchs ist aufs Einzelgrundstück ausgerichtet und der Eigentümer wird als Individuum vermerkt – selbst wenn es ein Konzern ist, dem 30.000 Wohnungen gehören. Will man alle verstreuten Grundstücke ihrem Eigentümer zuordnen, scheitert man technisch, rechtlich, administrativ an der Struktur von Grundbuch und Liegenschaftskataster. Das alte Versprechen des eigenen Häuschens oder Ackers ist so tief in die staatlichen Register eingeschrieben, dass diese die Konzentration an Grund und Boden praktisch nicht erfassen können. Will man dann auch noch die komplexen Verflechtungen von Investoren und Konzernen untersuchen, verwendet selbst der Staat (z.B. das Statistische Bundesamt) teure private Dienste. Bald soll es eine Verknüpfung von Datenbankgrundbuch und Transparenzregister geben – die Frage ist nur, für welche Nutzungsformen solche Digitalisierungsmaßnahmen optimiert werden: vor allem, um Eigentumsrechte zu sichern, oder eben auch zur besseren Kontrolle und Regulierung von Zweckentfremdung, Konzentration und Kriminalität.

Katrin L.: Ja, bei der Transparenz von Eigentumsstrukturen und insbesondere bei den Erträgen aus Eigentum besteht deutschlandweit großer Handlungsbedarf. Was wir ganz gut wissen, ist die Mietbelastungsquote in Bezug auf die Einkommensverhältnisse, also: Ist die ‚Scheißmiete‘ zu hoch oder ist sie in einem tragbaren Rahmen? Das bringt uns wieder zum Punkt Eigentum und Verantwortung: Es gibt ja im Unternehmensrecht das Stichwort der Gemeinnützigkeit. Im Immobilienbereich soll es laut Ampel-Koalitionsvertrag wieder eingeführt werden.[2] Hier muss man wieder mehr Wissen sammeln, weil die Kriterien für gemeinwohlorientierte oder gemeinnützige Immobilieneigentümerschaft neu entwickelt werden müssen. Da ist der Konzentrationsgrad wichtig – und da kommen wir mit dem hiesigen Kartellrecht auch nicht weiter. Es war ja kartellrechtlich komplett unproblematisch, dass Vonovia die Deutsche Wohnen schluckt.[3] Da haben wir offensichtlich ein Erkenntnis- und ein Vollzugsproblem. Und wenn Erträge aus Immobilien gezogen werden: Was ist da angemessen und wo beginnt der Wucher? Der Gewinnabfluss, also Gewinne rauszuziehen, ist das eine. Nicht genug drin zu lassen in den Immobilien, nicht genug zu investieren, damit die erhalten oder klimagerecht ertüchtigt werden, ist das andere. Wir brauchen offensichtlich Investitionsverpflichtungen für Immobilienbesitzer. Vorschriften dazu sind mir nicht bekannt. Und welche Nutzungsmöglichkeiten sind überhaupt okay? Da ist die Kommune gefragt. Sie kann über das Planungsrecht viele Vorgaben machen. Und wenn der Eigentümer denen nicht nachkommt, hat die Kommune Möglichkeiten einzugreifen. Es hilft, sich da so schrittweise zu bewegen.

Naomi: Es gibt ja viele Instrumente für Kommunen, durch Regulierungsmaßnahmen etwas zu tun. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass die Form der Finanzialisierung, die gerade passiert, auch staatlich und politisch gewollt ist. Es gibt eine enge Verknüpfung zwischen Kommunen und finanzialisierten Immobilienentwicklern. Darüber berichtet z.B. Laura Calbet i Elias in ihrer Recherche zur Entwicklung des Gebiets am Mauerstreifen zwischen Kreuzberg und Mitte. Da gab es kaum Planungsvorgaben für die Entwickler. Also gestalteten die das komplett nach ihren Vorstellungen und nun ist es so ein Upper-Class-Paradies mit Photoshop-Fassaden geworden. Man kann da gut sehen, wie es sich entfaltet, wenn Politik nicht nur nicht eingreift, sondern sozusagen gemeinsame Sache mit der Immobilienwirtschaft macht. Ich sehe einerseits die Kommune gern als die Akteurin, die gegen diesen Kapital-Tsunami mit Besteuerungs- und Planungsvorgaben angeht. Aber ich sehe eben auch das Problem der Kooptierung. Natürlich ist Politik immer Aushandlung zwischen verschiedenen Ideologien und Positionen, aber das müsste Menschen als Wähler*innen doch viel mehr interessieren.

Kathrin G.: Ja, selbst Ludwig von Mises, Friedrich von Hayek und andere Apologeten des freien Markts, von dem sich der Staat besser fernhalte, haben da etwas anderes gewollt. Mit der zunehmenden Konzentration von Kapital in immer weniger Händen ist nicht nur ‚der Markt‘ zerstört. Wir haben mittlerweile auch eine übermächtige fünfte Gewalt, die wahnsinnig großen Einfluss auf Politik und Gesellschaft hat: die Konzerne mit ihren Lobbyorganisationen. Trotzdem gäbe es erstaunlich viel Spielraum. Selbst wenn man alles Mögliche der Finanzialisierung freigibt, kann man ja trotzdem eine Grenze ziehen und sagen, dass sich Grundrechte nicht finanzialisieren lassen. Das müsste auf der Bundesebene angegangen werden. Wenn wir den Schutz des Wohnraums, in dem meine individuellen Freiheiten gewahrt bleiben, als ein Grundrecht begreifen, könnten wir politisch sagen: Dieses Grundrecht entziehen wir ab einem bestimmten Punkt der Finanzialisierung. Das ist nicht gegeben, obwohl das Bundesverfassungsgericht – in Bezug auf Boden – schon sehr richtungsweisende Urteile gefällt hat. Vor sehr langer Zeit. Wohnen verfassungsmäßig als Grundrecht zu verbriefen würde den politischen Handlungsspielraum jedenfalls sehr erweitern.

Katrin L.: Auch auf lokaler und kommunaler Ebene kann man experimentieren, um Grundrechte zu entfinanzialisieren. Das Grundgesetz sieht ja die föderale Gesetzgebungskultur als Normalfall. Und nur in wenigen Fällen hat der Bund die Kompetenz ausdrücklich an sich gezogen. Beim Thema Mietrecht etwa.[4] Das heißt ja aber, dass man es auf anderen Gebieten auf Länderebene tun kann. So wie der Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen es ermöglicht, ein Ländergesetz zu entwickeln.[5] Man kann also viel reformieren, daran will ich weiter festhalten. Und zur Korrumpierung der Politik: Da war im alten West-Berlin noch deutlich mehr Lametta. Wirtschaft war da im Wesentlichen die Bauwirtschaft und die war engstens mit der Politik verwoben. Nach 1989/90 suchte sich dann die Treuhand städtische Agenten für ihre Privatisierungspolitik und auch in dieser Phase wurde viel Skurriles entschieden. Ansonsten halte ich Berlin tatsächlich für ein gutes Gegenbeispiel, weil hier eine wache Zivilgesellschaft genau weiß, welche Instrumente die Stadt hat – oder braucht –, um eine Politik zu entwickeln, die Eigentümer tatsächlich in die Schranken weist.

Pheli: Und diese Instrumente sollten wir möglichst gut nutzen. Aber sie reichen oft nicht aus. Wie die Mietpreisbremse: Du kannst Vermietende damit unmittelbar in die Schranken weisen, wenn deine Miete über der ortsüblichen liegt. Aber sie ist eine unnötig komplizierte und vereinzelnde rechtliche Konstruktion. Wir versuchen in München gerade zusammen mit dem künstlerischen Architekt*innen-Kollektiv PONR, Wissen und Vernetzung der Mieter*innen hierzu zu stärken. Aber natürlich sollten das eigentlich Mietenkataster und staatliche Behörden übernehmen. Und sowieso braucht es einen bundesweiten Mietendeckel.

Kathrin G.: Ja, wir können das Problem nicht den Einzelnen zuschieben. Auch, weil sich viele nicht trauen und es sich nicht leisten können, sich mit ihrem (potenziellen) Vermieter rechtlich auseinanderzusetzen. Das heißt, selbst wenn individuelle rechtliche Handhabe da ist, wird sie oft nicht genutzt.

Pheli: Genau. Wir können uns da auch was von den Entwicklungen im landwirtschaftlichen Bodenmarktrecht abschauen: Da wird gerade diskutiert, wie man Share Deals[6] eindämmen kann, dass auch beim Vorkaufsrecht der Landwirte ein innerlandwirtschaftlicher Verkehrswert[7] herangezogen werden müsste und dass gemeinwohlorientierte Organisationen beim Kauf priorisiert werden sollten.

Katrin L.: Gemeinwohlorientierte Immobilieneigentümer, neben öffentlichen und genossenschaftlichen Trägern, gibt es ja schon in Ansätzen. Ein Produkt der Schweizer Rentenreform sind etwa Bodenstiftungen, in die private Pflichtbeiträge fließen, die dann nachhaltig in Immobilien investiert werden. In Berlin gibt es die zivilgesellschaftlich getragene Stadtbodenstiftung, auch das wäre eine Alternative. Wahrscheinlich wäre es hilfreich, die gesetzlich zu flankieren. Und selbstverständlich können sich auch Mieter zu Genossenschaften zusammenschließen und kaufen. Der Erwerb von Anteilen an einer Genossenschaft wird sogar gefördert. Aber man muss solche Transaktionen auch begleiten und die Leute befähigen, durch öffentliche oder von der öffentlichen Seite beauftragte Akteure.

Kathrin G.: Wenn Politik etwas Kluges macht oder fördert oder Einspruch erhebt gegen bestimmte Entwicklungen, dann braucht es dafür aber auch einen gut ausgestatteten öffentlichen Sektor. Jede Regelung, die wir uns wünschen, stirbt, wenn nicht die öffentliche Infrastruktur dafür da ist, um sicherzustellen, dass sie eingehalten wird. Also wenn wir uns Gesetze wünschen oder Unterstützung für zivil- und stadtgesellschaftliche Initiativen, müssen wir auch die Behörden befähigen, das wirklich umsetzen zu können.

Pheli: „Bauen, bauen, bauen“ soll ja jetzt das Problem lösen. Wenn aber beim Neubau 80 Prozent des aufzubringenden Geldes in den Boden gehen, entstehen – siehe München – nur noch Luxuswohnungen. Das geht komplett am Bedarf vorbei. Welche Möglichkeiten gibt es denn aus deiner Sicht, Katrin, um bedarfsgerecht zu bauen?

Katrin L.: Weites Feld ... Als Erstes müssen wir den Bodenpreisanteil runterbringen. Das ist schwierig bei Boden, der einem nicht gehört. Und die gesetzlich normierten Wertermittlungsgrundlagen führen dazu, dass diese Preisüberhöhung fortgeführt wird. Das Kaufen, Verkaufen, Gewinne-Rausziehen, Wiederverkaufen in der finanzialisierten Stadt entkoppelt Ertragsmöglichkeiten komplett von tatsächlich notwendigen Preisen und entzieht den überteuerten Boden einer sinnvollen Nutzung.[8] Hier muss man korrigieren. Laut Berliner Koalitionsvertrag ist bei städtischen Grundstücken, die in Erbpacht an andere gehen, eine ertragswertorientierte Bewertung vorzunehmen und eine entsprechend niedrigere Erbpacht zu ermitteln. Das muss man ebenso fürs Vorkaufsrecht hinbekommen. Zweitens brauchen wir Bauträger, die langfristig Bestand haben und auf die man kommunalpolitisch Einfluss nehmen kann: öffentliche Baugesellschaften, Genossenschaften und vielleicht Zusammenschlüsse von Bauwilligen, die sich auf so was wie Stadtverträge einlassen. Wer Baurecht verliehen bekommt, wird also auch in Pflicht und Verantwortung genommen. Drittens: Es gibt Lücken zwischen realen Baukosten und tragbaren Miethöhen. Die muss man durch Förderung schließen, durch Darlehen oder Zuschüsse, die an Bedingungen geknüpft werden. Aber: Eine vertragliche Förderung muss befristet sein. In Berlin sind wir bei 30 Jahren, in München werden 40 Jahre diskutiert. Das ist aber alles schwierig. Tatsächlich dauerhafte oder länger währende soziale Bindungen bekommt man vor allem über eigene Bauträger und die Vergabe eigener Grundstücke nach entsprechenden Vergabekriterien.

Pheli: Und sobald es mehr Wohnungen gibt, die für die Mietenden langfristig sicher sind, weil das rechtlich geregelt ist, es einen gemeinnützigen kollektiven Akteur gibt usw., verringert sich auch der individuelle Eigentumsreflex. Und das bedeutet, dass wir nicht selbst Spekulant*innen werden müssen. Uns wird ja ständig suggeriert, dass wir investieren und vorsorgen, Finanzakteur*innen sein müssen. Das ist ein Teil der finanzialisierten Stadt.

Naomi: Apropos investieren: Verschiedene Formen widerständiger Bewegung und politischer Intervention senken andererseits die Attraktivität für Investment. Als die Kampagne zum Volksentscheid von Deutsche Wohnen & Co enteignen lief, hat eine Ratingagentur, die Immobilienkäufe in Berlin bewertet, potenziellen Investoren zur Vorsicht geraten, weil sich aus der Kampagne Probleme ergeben könnten. Ratingagenturen sind sehr machtvoll. Zivilgesellschaftliche Mobilisierung kann ebenfalls auf der Ebene wirksam sein, weil sie das ‚Investitionsklima‘ beeinflusst.

Kathrin G.: Dem stimme ich zu. Eine widerständige Stadt ist tatsächlich ein Schreck für die ‚schlechten‘ Investoren. Allerdings steht Berlins starke Fragmentierung in Kieze und Quartiere auch einem widerständigen Potenzial entgegen und wir müssen uns als Stadtgesellschaft wieder mehr als eine gesamte begreifen. Das ist politische Arbeit, die nicht die bezahlte Politik leisten soll und kann. Die kann aber Bedingungen dafür schaffen, indem sie Beteiligungsformate entwickelt und fördert.

Pheli: Spannend wäre eine Aktionskarte von den Gebäuden oder Stadtgebieten, in denen Konflikt-, auch Klagebereitschaft besteht. Als finanzielles und Reputationsrisiko ginge das in die Ratings von Finanzakteuren ein.

Kathrin G.: Das ist eine gute Idee. Das erinnert mich an die Aushänge, wenn Privatisierung droht und Hausgemeinschaften schreiben: Lieber Investor, dich erwartet eine gut organisierte Mieter*innenschaft, Kampfbereitschaft und Widerstandsfähigkeit. Eine Kartierung, die zeigt, was Investoren im Zweifelsfall erwartet, wäre – erst mal – gut.

Katrin L.: Man könnte sie als zusätzliche Analyseebene in die städtebaulichen Untersuchungen einführen, wenn man Fördermittel vergeben, eine Wohnraumanlage entwickeln, Milieuschutz begründen will. Dafür braucht es nicht mal eine gesetzliche Änderung.

Während wir bis hierher viel darüber sprachen, welche Handlungsmöglichkeiten wir mit einigem politischen Willen bereits im bestehenden Rahmen hätten oder entwickeln könnten, um die Finanzialisierung der Stadt zurückzudrängen, springen wir zum Abschluss noch ein Stück weiter und fragen uns: Wie sieht die – nicht finanzialisierte – Stadt der Zukunft für uns eigentlich aus?

Katrin L.: ‚Meine‘ Stadt der Zukunft ist auf jeden Fall klimaresilient. Der öffentliche Raum und die städtische Infrastruktur werden prioritär und flächengerecht gestaltet, private Nutzungen auf ein erträgliches Maß begrenzt. Die Stadt der Zukunft ist eine Stadt für alle, in der die Gebäude wieder mit den Menschen zu tun haben, die hier leben, arbeiten und wohnen. Die Entfremdungsprozesse, die durch die Finanzialisierung verstärkt wurden, wurden zurückgedrängt.

Kathrin G.: Die Stadt der Zukunft ist auch eine lernende. Jahrzehntelang ist es den meisten Menschen aus der Hand genommen worden, den öffentlichen Raum tatsächlich mitzugestalten. In der Stadt der Zukunft gibt es also echte Beteiligungsverfahren – nach einer langen Phase des Lernens, der Interessenkonflikte und Mediationen. Wir haben ernstgemeinte Bürgerhaushalte, die es uns ermöglichen, gemeinsam darüber zu entscheiden, wie in der Stadt mit Geld umgegangen wird. Und fürs Bauen gibt es strengste Auflagen für Materialeinsatz, Begrünung, Wassernutzung, Energieerzeugung und -verbrauch …

Naomi: … und dafür, ob überhaupt gebaut werden muss. Die Stadt der Zukunft setzt Umnutzung vor Neubau und baut klimaschädliche Großprojekte – in Berlin oft eh nie ganz fertig – behutsam bedarfsgerecht zurück. Flächenversiegelung und gebaute Infrastruktur sind nun wieder rückläufig, der Raum fürs Leben wird dagegen gestärkt.

Pheli: Ja, die Stadt der Zukunft ist lebenswert für alle – wir können sie mitgestalten und werden nicht durch Profitinteressen verdrängt. Die kommunalen Ausschreibungs- und Planungsprozesse, die Rechtsformen und Register sind für diejenigen Eigentümertypen und Eigentumsstrukturen optimiert, die das unterstützen. Es gibt eine Daseinsvorsorge, durch die wir uns sicher fühlen, und öffentliche Infrastrukturen, die sozial und ökologisch gerecht gestaltet sind. Sie fördern einen genügsamen Konsumkorridor, aber weil wir unsere Stadt und den Raum sinnvoll miteinander teilen, haben wir dennoch alle mehr zur Verfügung.

Vielleicht ist Berlin also auch zukünftig eine ‚geteilte Stadt‘: dann aber als guter Lebensraum für alle, die ihn gemeinsam nutzen und erhalten wollen. Kein Weg dorthin führt an der Eigentumsfrage vorbei. Antworten darauf gäbe es durchaus im Bestehenden und doch gilt es, noch grundlegend andere zu finden.


Das Gespräch wurde erstmals veröffentlicht in: Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt #11 X Properties, Joerg Franzbecker, Naomi Hennig, Florian Wüst (Hg.), Berlin 2022


[1] Das Gespräch wurde in Bezug auf genderbezogene Formulierungen im Wortlaut übernommen.
[2] Die Wohnungsgemeinnützigkeit als Instrument einer dauerhaft sozialorientierten Wohnraumversorgung wurde in Deutschland 1990 abgeschafft.
[3] 2021 fusionierten die Immobilienriesen zum größten privaten Wohnungsunternehmen Europas.
[4] Das Bundesverfassungsgericht kippte 2021 den sogenannten Mietendeckel des Landes Berlin, da die Bundesebene die Frage der Miethöhe etwa mit der Mietpreisbremse bereits umfassend und abschließend reguliert habe. Die Mieten steigen gleichwohl weiter.
[5] Am 26. September 2021 stimmte die Berliner Bevölkerung mehrheitlich dafür, ein Gesetz für die demokratische Vergesellschaftung des Wohnungsbestands großer Immobilienunternehmen zu erlassen. Die Berliner Politik bleibt die Umsetzung bislang schuldig.
[6] Mit Share Deals werden nicht direkt Immobilien, sondern Anteile an einem Unternehmen erworben, in das die Immobilien überführt wurden. So wird umgangen, Grunderwerbssteuer zu zahlen.
[7] Ein innerlandwirtschaftlicher Verkehrswert einer Fläche würde danach berechnet, welche Erträge dort mit landwirtschaftlicher Tätigkeit erzielbar sind (siehe auch nachfolgende Fußnote).
[8] Die Wertermittlung richtet sich üblicherweise danach, welcher Preis ‚am Markt‘ erzielbar ist. Sinnvoll wäre, sie daran auszurichten, welche künftigen Erträge etwa durch Mieteinnahmen generiert werden können, die für die bisherige breite Mieter*innenschaft, Kleingewerbe, soziale und kulturelle Einrichtungen usw. tragbar sind.
 
Do, 02/09/2023 - 11:10
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