Künstler zu Dörflern

Schwerpunkt: Dörfer

Künstler zu Dörflern

Wie Künstler die Existenz auf dem Dorf sichern sollen
Das "Leitsystem zum Neuen" der Reinigungsgesellschaft
Anna-Lena Wenzel, Foto: © Reinigungsgesellschaft

Über das Programm „Kunst fürs Dorf - Dörfer für die Kunst“.

 

Als jemand auf einer Veranstaltung zum Thema „Kreativität und Leistungsgesellschaft“ auf dieses Programm zu sprechen kam, ging ein Raunen durch den Raum. Die Empörung über ein Programm, das Künstler offensichtlich instrumentalisiert und ihre Kreativität abschöpft, war sofort im Raum zu spüren. Dabei war nicht klar, was die Menge mehr bewegte: Die Tatsache, dass die Künstler aufs öde Dorf geschickt werden oder dass sie wie Wanderarbeiter für eine Zeitlang bezahlt werden, um Gemeinschaftsarbeit zu leisten? Doch was machen die KünstlerInnen im Dorf genau und unter welchen Konditionen? Und warum finden die Städter das so empörenswert? Werden die Künstler tatsächlich ausgenutzt für die Wiederbelebung der immer trister werdenden Dörfer?


Das Programm „Kunst fürs Dorf - Dörfer für die Kunst“

 

Ins Leben gerufen hat „Kunst fürs Dorf - Dörfer für die Kunst“ die Deutsche Stiftung Kulturlandschaft. Sie setzt sich seit ihrer Gründung im Jahr 2006 für den „Erhalt und die Entwicklung der über Jahrhunderte gewachsenen bäuerlich geprägten Kulturlandschaft ein.“[1] Um die Existenzgrundlage ihrer BewohnerInnen auch in Zukunft zu sichern, sollen Dörfer nachhaltig entwickelt werden. Es geht darum, im verlorenen Wettbewerb Stadt-Land wieder Boden gut zu machen. Ziel ist die Aufwertung des „ländlichen Raum als Lebens- und Wirtschaftsraum, der nicht zugunsten urbaner Wachstumszentren vernachlässigt oder aufgegeben werden darf.“ Ist der Begriff Aufwertung in den Städten unter dem Schlagwort „Gentrifizierung“ zum Angstwort geworden, würden sich gerade Dörfer in abgelegenen Regionen über ein bisschen Attraktivierung und Aktivierung freuen. Die Stiftung stellt dafür für die Dauer von sechs Monaten ein Honorar in Höhe von je 20.000 Euro zur Verfügung. Die Dörfer stellen Wohnraum und Atelier.

 

In Form eines offenen Wettbewerbs werden sowohl die Dörfer als auch die KünstlerInnen von einer Fachjury ausgewählt, wobei sich die KünstlerInnen vor einer Jury und Gemeindevertretern behaupten müssen. Dabei wird vorausgesetzt, dass sie die Dorfgemeinschaft in die Vorbereitungs- und Umsetzungsphase mit einbeziehen. Im Gegenzug verpflichten sich die Dörfer die KünstlerInnen bei ihrer Arbeit zu unterstützen und den Dialog zu suchen. Dies macht das Programm so besonders, denn in den üblichen Stipendienprogrammen wird den KünstlerInnen lediglich ein Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt, so dass sie in Ruhe arbeiten können.

 

2009 fand das Projekt „Kunst fürs Dorf – Dörfer für Kunst“ erstmals in drei Dörfern in Mecklenburg-Vorpommern statt. 2011 standen fünf kleine ländliche Gemeinden in Niedersachsen im Mittelpunkt des Geschehens. 2013 waren es drei Dörfer in Sachsen. Dieser dritte Durchlauf wurde von arte begleitet. In sechs Folgen kann man den Annäherungs- und Entstehungsprozess der Projekte verfolgen.[2] Interessant sind zwei Dinge: wie deutlich die Erwartungshaltung einer „Belebung“ von den Verantwortlichen formuliert wird, aber auch wie offen dann mit dieser umgegangen wird. Es zeigt sich, dass der Großteil der künstlerischen Arbeit in Kommunikation besteht, in allen drei Beispielen geht es darum, die BewohnerInnen zusammenzubringen und sie einzubinden. Dies gelingt unterschiedlich gut. In jeder Gemeinde entwickeln die Projekte eine ganz eigene Dynamik, sind mal mehr, mal weniger BewohnerInnen involviert. Entscheidend für die Zusammenarbeit sind ein prozesshaftes Verständnis von Kunst und die Offenheit sich auf Situation und Leute einzulassen. Beispielhaft hat dies das Künstlerduo Reinigungsgesellschaft umgesetzt, das 2009 in Grambow im Rahmen von „Kunst für Dörfer“ ein „Leitsystem zum Neuen“ entwickelte. Ihnen ging es nicht darum die Abgeschiedenheit des Dorfes für eine konzentrierte Werkweiterentwicklung zu nutzen, sondern „Prozesse zu initiieren, zu moderieren und abzubilden“[3] - nicht für die BewohnerInnen, sondern mit ihnen. Dazu befragten sie die BewohnerInnen nach ihren Lebensbedingungen und Zukunftsperspektiven und entwickelten aus dem Material ein Leitsystem aus Verkehrsschildern, auf denen die drängenden Fragen der BewohnerInnen verhandelt werden: Abwanderung, Infrastruktur, Klimawandelfolgen.


Vorschnelle Vorverurteilung


Wenn bei einer Veranstaltung dieses Projekt mit einem allgemeinen Aufseufzen bedacht wird und vorschnell die Instrumentalisierungsvorwurfskeule geschwungen wird, sollte also bedacht werden, dass es durchaus KünstlerInnen gibt, für die Partizipation und Kommunikation elementare Bestandteile ihrer künstlerischen Praxis sind. Wo die jeweiligen Grenzen dieser „Dienstleistungskunst“ liegen, wo sie sich zu sehr in den Dienst von Auftraggebern und Beteiligten stellt, muss von Fall zu Fall verhandelt werden. Das Projekt „Künstler fürs Dorf“ bietet dafür hervorragendes Diskussionsmaterial, lässt sich hier doch exemplarisch nachvollziehen, wie die konkreten Erwartungen der Dörfer von den KünstlerInnen aufgegriffen, in die eigene Arbeitsweise integriert oder auch umgangen werden. Deutlich wird: es ist ein gegenseitiger Einlassungsprozess nötig, der es ermöglicht, die Erwartungen verhandelbar zu machen.

 

Vorsicht ist auch bei einer vorschnellen Bewertung des Ortes geboten. Stipendienprogramme auf dem Land sind nicht pauschal abzulehnen, bieten sie doch angenehme Auszeiten aus dem hektischen Großstadtleben mit seinen vielfältigen Vernissagensmalltalkverpflichtungen. Für konzentrierte Arbeitsphasen sind sie durchaus zu empfehlen, auf Dauer können die häufigen Ortswechsel jedoch schnell anstrengend werden. Nur die wenigsten Programme sind wie „Künstler fürs Dorf“ auf eine direkte Kommunikation mit den Bewohnern ausgerichtet. Den meisten haftet ein eher elitärer Beigeschmack an, befinden sie sich doch in ehemals herrschaftlichen Gemächern, wie dem Schloß Balmoral, Schloß Ringenberg oder der Akademie Schloß Solitude.

 

Wären bei der Erwähnung eines solchen Schloß-Stipendiums auch die Nasen gerümpft worden? Die Vermutung liegt nahe, dass es die hinterwäldlerische Aura des Dorfes selbst ist, die Abwehrreaktionen hervorruft. Das Projekt „Künstler fürs Dorf“ zeigt jedoch, das gerade die Überschaubarkeit des Dorfes direkte Auseinandersetzungen und Kontakte befördert, die viel unmittelbarer sein können als in der Großstadt mit seinen vielen einzelnen Kiezen. Erreicht man in der Stadt mit seinen hochkulturellen Kunstinstitutionen ein elitäres Spezialistentum, muss man sich im Dorf viel direkter mit Laien auseinandersetzen, wie in der Dokumentation die vielen etwas skeptischen Kommentare belegen. Es ist eine Definitionsfrage, wo Kunst sich besser entfalten kann. Ob sie etwas für Experten ist oder sich in jedweder Umgebung behaupten kann und gerade vom Austausch mit den Menschen lebt.

 

Dass die Gefahr einer Instrumentalisierung auf dem Dorf größer sein soll, scheint, wenn man die Dokumentation gesehen hat, ein städtisches Vorurteil zu sein. Die abschätzige Kommentierung dieses Projektes verrät also vielleicht mehr über die Arroganz der Städter, als über die Unfähigkeit der Dörfler sich auf Kunst einzulassen.



[3] Keil, Martin. Mayer, Henrik (Hrsg.): Transparency First. Katalog REINIGUNGSGESELLSCHAFT. Nürnberg: Verlag für Moderne Kunst, 2013, S. 8.

 

Kurzbeiträge

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Fundsachen

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Straßenszenen

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Die Fotos und der Text stammen au

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