Parasite Parking

Parasite Parking

Logbuch einer öffentlichen Intervention von Alexander Sacharow und Jakob Wirth
Text: Parasite Parking und Anna-Lena Wenzel, Fotos: Parasite Parking und Johannes Rau
Über eine Woche haben die Künstler und Aktivisten Alexander Sacharow und Jakob Wirth mit einem mobilen Gefährt Parkplätze besetzt, um am Beispiel von Parkplätzen darüber zu sprechen, wer die Stadt wie nutzt und wie die massive Raumnahme von Autos durch andere Nutzungsweisen ersetzt werden kann.
Das Nutzung von Parkplätzen für andere Zwecke hat schon Lucius Burckhardt in den 1990er Jahren vorgemacht, als er Seminare auf Parkplätzen abhielt; tatsächlich ist in den letzten Jahren, als in der Bergmann- und der Friedrichstraße Parkplätze in Begegnungszonen umgewandelt wurden, Bewegung in die Sache gekommen, gleichzeitig haben die Kontroversen um diese Umgestaltungen gezeigt, wieviel Überzeugungsarbeit hier noch geleistet werden muss.
Alexander Sacharow und Jakob Wirth setzen mit ihrem Projekt „Parasite Parking“ genau hier an. Sie haben ihre Plattform an verschiedenen Orten in der Stadt aufgestellt: am Hermannplatz und in Lichtenberg, in der Nähe eines Kunstortes, auf einem Kundenparkplatz und in einem Parkhaus, um das subversive Potential dieser Plattform zu erforschen, wie sie sagen. Das besondere ihrer Aktion: Sie diente nicht nur tagsüber als Kommunikations- und Veranstaltungsort, sondern auch als Schlafplatz in der Nacht.
Auf der Website von Parasite Parking erläutern die beiden Initiatoren ihre Idee: „Parkplätze sind heute ein Schlachtfeld der zukünftigen Stadt. Sie sind die Grenze: zwischen privat und öffentlich, zwischen Bleiben und Weggehen, zwischen der Mobilität von gestern und den klimafreundlicheren Alternativen von morgen, zwischen privilegierten und benachteiligten Gebieten. Parkplätze sind zunehmend von Gentrifizierung und Mietwucher betroffen, wie jeder andere verfügbare Raum in der Stadt auch. Aber sie sind auch Nischen in einer Stadt für emanzipatorische Praktiken.“[1] 

Protokoll ihrer Aktion:

19.5. Einparken: Erste Nischen-Besetzung des Parasiten auf dem Parkplatz am Mariannenplatz im Rahmen der Mart Stam Preis 2022 Ausstellung im Kunstraum Bethanien
„Endlich ist der Parasit aus Chicago in Berlin angekommen! Und gleich geht es los: Als erstes nisten wir uns zwischen den Autos am Mariannenplatz in Kreuzberg ein. Kommt gerne vorbei! Ab 18 Uhr geht es am Freitagabend (19. Mai) los. In den nächsten Tagen eignet sich der Parasit Berlins Park-Nischen an und das gerne mit eurer Unterstützung. Am Freitag gibt es einen kleinen Einblick in die weiteren Pläne und Veranstaltungen sowie ein paar Drinks.“[2]

Der Parasit besteht aus einer mobilen Plattform auf Rollen und flexiblen Holzmöbeln, dazu gehören ein Bett, Tische, Stühle und Regale mit einem Kocher. Zum Schutz vor Regen und Sonne ist eine Plane gespannt, doch Wände gibt es keine. Die ganze Plattform ist permanent offen, einsehbar und zugänglich. Sie verfügt über keine sanitären Anlagen, weshalb man darauf angewiesen ist mit Nachbar*innen in Kontakt zu kommen und Kompliz*innen zu finden, denn wer passt auf den Parasiten auf, wenn man kurz duschen geht?
Sowieso ist das Ganze auf Kommunikation angelegt – es geht um den Austausch über die Frage wie man Parkplätze umnutzen kann und die daran anknüpfende Fragen „Wem gehört die Stadt?“ oder „Wie kann der Wandel zu autoarmen Stadt gelingen“?

Das Konzept geht auf: „In den drei Tagen am Mariannenplatz gibt es ein dichtes Programm und einen intensiven Einstieg mit Eröffnung, Karaoke, Dinner und unglaublich vielen Gesprächen über Nischenwohnen, prekäre Verträge, Parksituationen, die Kommerzialisierung der Stadt und die Frage, welchen Bedürfnissen folgt die Planung und Nutzung des Straßenraums. Es gab sogar Geschenke aus der Nachbarschaft!“

24.5. Großparkplatz in Lichtenberg, Landsberger Allee 365
Die zweite Station liegt auf einem der größten Parkbiotopen der Stadt mit einem riesigen betoniertem Großparkplatzen von drei Einkaufszentren (u.a. Ikea). Hier ist die Situation eine andere: der Parasit ist umgeben von Autos bzw. Parkplätzen, die sich nur am Tag füllen.

Am Mittwoch geben Julian Schenk (Kontrabass), Rafael García (Saxophon) und Marleen Dahms (Posaune) ein Jazzkonzert, das einen interessanten Kontrast bildet. Das Resümee: „Ikea Kund*innen waren dabei deutlich wortkarger als im Mariannenkiez und die Nachbarschaft mit Ikea entwickelte sich zwar als tolerierende Koexistenz mit Vereinnahmungstendenzen seitens des Wirts, blieb aber überraschend kühl-kalkulierend. Interessante Gespräche entstanden jedoch ohnehin: über Flächenverbrauch von Parkplätzen und privaten Nutzungskonzepten.“

26.5. Parkhaus am Hermannplatz
Der Parasit zieht nach Neukölln weiter und macht Station im vierten Parkdeck des Karstadtparkhauses. Während auf dem Hermannplatz der Verkehr und die Menschen rauschen, ist es hier vergleichsweise leer. Dennoch gibt es Diskussionen mit der Security, die auf das Hausrecht pocht.
„Die drei Tage im SIGNA-Parkhaus als Ort der Verhandlung zwischen krassen privaten und öffentlichen Interessen, waren ruhig und von wenig Besuch geprägt. Die zig Stellplätze blieben fast den ganzen Tag über leer und zeigten, wie viel Raum für anderes im Parkhaus vorhanden wäre. Erst bei unserer „Parasite Movie Night“ wurde das Parkdeck etwas gefüllt und die Underground-Nische ausgefüllt. Passend zum Thema schauten wir „The Architect“, von Kerren Lumer Klabbers, der von der Prekarität in einer privatisierten und überteuerten Stadt und der Brutalität der Ungleichheit handelt, die sich auf dem Boden der „Nicht-Habenden“ abspielt. Im Vorlauf lief der Kurzfilm „Zeit zu gehen“ von Silvan Hagenbrock, der Autos zu Wesen werden ließ und die Möglichkeitsräume der Autofreiheit mit Imaginationen füllte.
Nach zwei Nächten im Parkhaus kannten wir mittlerweile die Regeln und wussten, wann Security vorbeikommt und der Parasit zurück in seine Tarnung muss.“

27.5. Sanderstraße
Mit Lastenrädern geht es in die Sanderstraße, wo es jedoch gleich Ärger mit dem Ordnungsamt gab. Doch da die Bezirksgrenze gleich um die Ecke ist, und in Kreuzberg andere Regeln gelten, wird der Parasit kurzerhand in die Hobrechtstraße gerollt und macht dort über Nacht vor einem ehemaligen Kraftwerk Halt. Am Sonntag findet in der Sanderstraße ein Nachbarschaftsfest statt und während alle Autos die Straße räumen müssen, ist der Parasit ein gern gesehen Gast. Während ein Abschleppwagen schwer damit beschäftigt ist die letzten Autos abzutransportieren, spielen Kinder auf der Straße, malen mit Kreiden und die Eltern sitzen auf den Bordsteinkanten und plaudern. Auch im Parasiten ist immer was los, werden Gespräche geführt und Café gekocht. Am Abend gibt es eine letzte Veranstaltung:
„Nach dem Experimentieren und Umcodieren der Parkplatznutzung in Berlin schließen wir unseren temporären Lebensraum und laden zu einer letzten Guerilla-Nutzung in Form eines Konzertes ein. Unter den Performern sind Michelle Madson mit „Par(k)ete“ und Tom Mayer mit „Klett Wandel“. Den Abschluss bildet eine DJ-Performance von Wiebke.“

Am nächsten Morgen wird alles zusammengepackt und Parasite Parking zieht von dannen.



[1] https://parasite-parking.net/de/
[2] Alle Zitate sind überarbeitete Instagram-Posts von @parasiteparking.
 
Mo, 06/12/2023 - 09:29
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Fundsachen

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Die Fotos und der Text stammen au

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