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Editorial Brachen

Editorial Brachen

Anna-Lena Wenzel
Brachen ziehen die Blicke an, hier können sie schweifen, wo sie sonst so schnell an der nächsten Wand enden und über Eck zurückgespielt werden. Die Funktionsoffenheit der Brachen lässt die Gedanken leer laufen, wildes Wuchern lädt zu Spekulationen ein. Es ist das Ungestaltete, das interessiert, und das Unbestimmte, sich einer funktionellen Nutzung sich verweigernde, das fasziniert.
Aber es geht noch weiter: Brachen sind nie statisch, sondern Orte permanenter Transformation. Je nachdem, ob die Brache eingezäunt oder frei zugänglich ist, ist sie sich selber überlassen bzw. kann in Benutzung genommen werden: Die Natur kann wachsen und sich den zuvor gestalteten Raum zurückerobern. Menschen können sich Raum aneignen, indem sie ihn täglich mit ihrem Hund durchqueren oder ein Zelt zum Übernachten aufschlagen. Hier kann Stadtraum angeeignet werden, der sonst so oft Ausschlüsse produziert.
Durch ihren unbestimmten Status ist die Brache zudem eine perfekte Projektionsfläche für verschiedenste mögliche zukünftige Nutzungen. Sie fordert geradezu dazu auf, sich zu fragen: Was wäre wenn …? Aber auch das genaue Gegenteil davon ist attraktiv: ein Ort, der sich jeder Funktionalität entzieht und jeglicher Verwertbarkeit verweigert.

Es wird klar: Brachen sind zugleich vernachlässigte und höchst potente Orte. So lange sie unbebaut sind, sind sie ein Symbol für die Freiräume, über die Berlin so lange verfügte, sind Möglichkeitsräume für Zwischennutzungen und temporäre Aneignungen. Doch gerade weil sie unbebaut sind, sind sie besonders attraktive Investmentgrundstücke. Was aussieht, als wenn es aus kapitalistischen Verwertungszusammenhängen herausgefallen wäre, wartet nur darauf, an Wert zuzulegen. Wer und wie mit diesen Grundstücken dealt, bleibt unsichtbar. Erst wenn ein Neubau beschlossen ist, wird ein Bauschild aufgestellt und die Zukunft der Brache sichtbar.
Die ursprüngliche Wortbedeutung von Brache als „unbestelltem Grundstück“, das brach liegt, damit es sich regenerieren kann, weicht dem Bewusstsein, dass diese Zeiten vorbei sind. Selbst die künstlerische Auseinandersetzung kann im schlimmsten Fall zur Aufwertung der Grundstücke führen und zum Verschwinden der Brachen beitragen. Bliebt die Conclusio: Hände weg von der Brache!

Dieser Text ist für die Künstler*innengruppe Stadt im Regal entstanden. Wie 99% Urban, beschäftigen auch sie sich schon länger mit dem Phänomen Brache. Schon 2013 gab es hier einen Beitrag in der Rubrik „so lebt“ und 2020 einen weiteren von Lars Preisser mit dem sprechenden Titel „Die Zeit der letzten Brachen“. Die Nutzungenweisen von Brachen als Gärten (Detroit) oder als Parlamente der Organismen (Club Real), wie sie hier vorgestellt werden,  verwahren hoffentlich davor, bei diesem Thema allzu nostalgisch oder pessimistisch zu werden.
 
Kurzbeiträge

Einwürfe

50% Urban Anna-Lena Wenzel berichtet von einer einwöchigen Sommerschule zum Thema Transformation in Motion.
Zwischen Laternen und Flaggen Ein Essayfragment von Marco Oliveri über das fragile Konstrukt Nachbarschaft
Tischlein Deck Dich Das Buch flavours & friends von TDD enthält Rezepte, ist die Dokumentation einer sozialen Raumpraxis und hält die Veränderungen Berlins fest.

Fundsachen

Gefährten* Eine Serie von Stoffbeuteln, hergestellt aus Stoffen aus der VEB Schirmfabrik Karl-Marx-Stadt, fotografiert von Lysann Nemeth.
Malheur Couleur Die Farbe Weiß weckt zuallererst Assozia
Sechser Inflationär verbreitet: gepinselte Sechsen auf temporärem Stadtmobiliar. 

Straßenszenen

Berliner Trümmerberge Eine Recherche zu den Berliner Trümmerbergen von Karoline Böttcher mit einem Text von Luise Meier. 
Kabinett Gallery Die Kabinett Gallery nutzt ausgediente Kaugummiautomaten als Ausstellungsflächen im öffentlichen Raum
Zu Gast im 24. Stock Algisa Peschel, Stadtplanerin und eine der Erstbewohnerinnen des DDR-Wohnkomplexes in der Berliner Leipziger Straße lädt zu sich nach Hause ein.

So klingt

die Platte Zwei Songtexte von WK13 und Joe Rilla bringen die Ost-Plattenbauten zum Klingen
der Görlitzer Park K.I.Z. rappt über den Görlitzer Park.
Pedestrian Masala Field-Recordings von Andi Otto aus Bangalore, Südindien.

So lebt

Sorge „Sorge“: meine Platte, meine Heimat,
(e) es sich in der Schule der Arbeit Ute Richter deckt mit ihrer künstlerischen Forschung ein vergesenes Kapitel der emanzipatorischen Erwachsenenbildung in Leipzig auf.
man nicht mehr im Prenzlauer Berg Das war einmal: der Prenzlauer Berg im Jahr 1991, erinnert von Jo Preußler