Was Corona verändert I
Was Corona verändert I
Auf der Straße, im Alltag, zu Hause
Anna-Lena Wenzel
Für ein Porträt des Platzes südlich des Alexanderplatzes streune ich auf dem fast ausgestorbenen Platz herum. Wo sonst Touristen Fotos vom Fernsehturm schießen oder Jugendliche auf den Treppen abhängen, sind jetzt nur einige verlorene Gestalten auszumachen. Die Polizei geht über den Platz und spricht eine Gruppe von Männern an, die zu dritt zusammen stehen, und danach ein Stück weiter voneinander abrücken.
Im Drogeriemarkt ist es überraschend ruhig, abgesehen von den Klopapierregalen ist alles gut gefüllt. An der Kasse sind zwei Personen vor mir, es entspinnt sich ein Gespräch zwischen der Verkäuferin und einer Frau, die offensichtlich auch in den Rathaus Passagen arbeitet. Die Frau ist deprimiert. Ihr Geschäft ist von der Schließung bedroht und sie weiß nicht, wie es weitergeht. Sie tauschen Informationen über die Lage bei den anderen Geschäften in der Passage aus. Die Frau an der Kasse gibt Tipps für Unterstützungsmöglichkeiten. Weil ich mein Fahrrad draußen nicht abgeschlossen habe (ich wollte nur mal kurz gucken), werde ich leicht unruhig, unterdrücke aber den Impuls etwas zu sagen, weil ich diesen solidarischen Austausch wichtig finde. Er passt zum neuen Umgang mit Zeit, der Verschiebung von Prioritäten und den existentiellen Fragen, die für viele im Raum stehen. Wo bekomme ich Unterstützung, wenn das Einkommen wegfällt? Wie geht man mit dem Freigestelltsein um, wenn zugleich an so vielen Stellen Not an Frau*Mann ist?
Als ich die Rathaus Passage verlasse, ertönt hinter mir ein gellender Schrei, ich drehe mich erschrocken um, sehe eine Frau, auf den ersten Blick unauffällig, die weiter vor sich hin spricht, sich entschuldigt und erklärt, das wäre in Erinnerung an eine Person, die hier gestorben wäre. Draußen erklingt ein weiterer Schrei. Ich denke an die vielen Gespräche, die ich zur Zeit mit Freund*innen über die Situation führe, über die Sorgen und Ängste, und frage mich, wie Menschen zurechtkommen, die alleine oder psychisch labil sind. Ich erinnere mich an den Kälteschauer, der mich letzte Woche überkam, als ich zum Joggen hinausging, weil ich plötzlich umgeben war von der angespannten und angstvollen Atmosphäre, die überall im Raum steht. Beim Hinauskommen stehe ich plötzlich vor einer Tafel, die in den Boden eigelassen ist und um die rote Rosen drapiert sind. Sie erinnert an Jonny K. der am 14.10.2012 an diesem Ort angegriffen und verprügelt wurde. „Diese Tafel soll stellvertretend an die Opfer erinnern, die Zivilcourage zeigten und dadurch zu Schaden kamen. Sie mahnen uns, nicht wegzuschauen. Wir werden sie nicht vergessen und ihr Andenken in Ehren halten.“ Hat die Frau für Jonny geschrien? Abends um sieben treten einige Menschen in meiner Nachbarschaft auf ihre Balkone und applaudieren für die Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten und dort im unermüdlichen Einsatz sind. Auf der gegenüberliegenden Seite wird ein Plakat ausgerollt auf dem „Grenzenlose Solidarität“ steht.
Was macht die Pandemie mit den Menschen? Alle sind aus ihren Routinen geworfen, müssen sich erst neue Strukturen schaffen, hocken räumlich eng aufeinander oder sind voneinander getrennt. Für die meisten bedeutet es eine Zuspitzung ihrer Situation: diejenigen, die sich sonst mit Aktivitäten von sich ablenken, sind nun auf sich selber zurückgeworfen, Familien sind nun ununterbrochen mit sich und der räumlichen Enge ihrer Wohnung konfrontiert. Paare, die ein Zwischenspiel aus Nähe und Distanz etabliert haben, müssen sich umstellen, sich aushalten. Ich beobachte eine Familie, die an mir vorbeiläuft: das Kind auf dem Laufrad vorweg, der Mann hinterher, zwei Schritte weiter folgt die Frau. Schon an den Körperhaltungen wird klar, dass hier Spannung im Spiel ist. Man kann die schlechte Laune förmlich spüren, die hier im Spiel ist – am verbissenen Mund und dem skeptischen Blick der Frau, an der ungehaltenen Geste des Mannes, der den Sohn ruckartig an der Kapuze nach hinten zieh und es anfährt, nicht zu weit voraus zu fahren.
Als ich auf dem Heimweg auf den autoleeren Straßen um eine Ecke biegen will, stehen plötzlich Menschen auf der Straße, langsam erkenne ich, dass es sich um einen Unfall handelt, bei dem drei Autos ineinander gekracht sind. Eine Frau bückt sich zu einer anderen, die auf dem Boden sitzt, ihr Fahrrad liegt auf dem Boden. Wollte sie ihr ausweichen und ist dabei in die anderen Autos hineingerammt? Ich kann nicht sehen, ob es weitere Verletzte gibt und fahre weiter. Von den Balkonen schauen die Menschen hinunter. An der nächsten Kreuzung höre ich Sirenen: ein Krankenwagen und ein Feuerwehrauto biegen mit quietschenden Reifen um die Ecke. Mich überkommt ein Schauer als ich die dicht gedrängten Feuerwehrmänner in ihrem Auto sehe – dass die jetzt weiter ihren Job machen und sich der Gefahr einer Ansteckung aussetzen, dafür habe ich großen Respekt. Gleichzeitig empfinde ich es als tröstlich, dass in dieser Ausnahmesituation einige Dinge weiter ihren gewohnten Gang gehen.
Im Drogeriemarkt ist es überraschend ruhig, abgesehen von den Klopapierregalen ist alles gut gefüllt. An der Kasse sind zwei Personen vor mir, es entspinnt sich ein Gespräch zwischen der Verkäuferin und einer Frau, die offensichtlich auch in den Rathaus Passagen arbeitet. Die Frau ist deprimiert. Ihr Geschäft ist von der Schließung bedroht und sie weiß nicht, wie es weitergeht. Sie tauschen Informationen über die Lage bei den anderen Geschäften in der Passage aus. Die Frau an der Kasse gibt Tipps für Unterstützungsmöglichkeiten. Weil ich mein Fahrrad draußen nicht abgeschlossen habe (ich wollte nur mal kurz gucken), werde ich leicht unruhig, unterdrücke aber den Impuls etwas zu sagen, weil ich diesen solidarischen Austausch wichtig finde. Er passt zum neuen Umgang mit Zeit, der Verschiebung von Prioritäten und den existentiellen Fragen, die für viele im Raum stehen. Wo bekomme ich Unterstützung, wenn das Einkommen wegfällt? Wie geht man mit dem Freigestelltsein um, wenn zugleich an so vielen Stellen Not an Frau*Mann ist?
Als ich die Rathaus Passage verlasse, ertönt hinter mir ein gellender Schrei, ich drehe mich erschrocken um, sehe eine Frau, auf den ersten Blick unauffällig, die weiter vor sich hin spricht, sich entschuldigt und erklärt, das wäre in Erinnerung an eine Person, die hier gestorben wäre. Draußen erklingt ein weiterer Schrei. Ich denke an die vielen Gespräche, die ich zur Zeit mit Freund*innen über die Situation führe, über die Sorgen und Ängste, und frage mich, wie Menschen zurechtkommen, die alleine oder psychisch labil sind. Ich erinnere mich an den Kälteschauer, der mich letzte Woche überkam, als ich zum Joggen hinausging, weil ich plötzlich umgeben war von der angespannten und angstvollen Atmosphäre, die überall im Raum steht. Beim Hinauskommen stehe ich plötzlich vor einer Tafel, die in den Boden eigelassen ist und um die rote Rosen drapiert sind. Sie erinnert an Jonny K. der am 14.10.2012 an diesem Ort angegriffen und verprügelt wurde. „Diese Tafel soll stellvertretend an die Opfer erinnern, die Zivilcourage zeigten und dadurch zu Schaden kamen. Sie mahnen uns, nicht wegzuschauen. Wir werden sie nicht vergessen und ihr Andenken in Ehren halten.“ Hat die Frau für Jonny geschrien? Abends um sieben treten einige Menschen in meiner Nachbarschaft auf ihre Balkone und applaudieren für die Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten und dort im unermüdlichen Einsatz sind. Auf der gegenüberliegenden Seite wird ein Plakat ausgerollt auf dem „Grenzenlose Solidarität“ steht.
Was macht die Pandemie mit den Menschen? Alle sind aus ihren Routinen geworfen, müssen sich erst neue Strukturen schaffen, hocken räumlich eng aufeinander oder sind voneinander getrennt. Für die meisten bedeutet es eine Zuspitzung ihrer Situation: diejenigen, die sich sonst mit Aktivitäten von sich ablenken, sind nun auf sich selber zurückgeworfen, Familien sind nun ununterbrochen mit sich und der räumlichen Enge ihrer Wohnung konfrontiert. Paare, die ein Zwischenspiel aus Nähe und Distanz etabliert haben, müssen sich umstellen, sich aushalten. Ich beobachte eine Familie, die an mir vorbeiläuft: das Kind auf dem Laufrad vorweg, der Mann hinterher, zwei Schritte weiter folgt die Frau. Schon an den Körperhaltungen wird klar, dass hier Spannung im Spiel ist. Man kann die schlechte Laune förmlich spüren, die hier im Spiel ist – am verbissenen Mund und dem skeptischen Blick der Frau, an der ungehaltenen Geste des Mannes, der den Sohn ruckartig an der Kapuze nach hinten zieh und es anfährt, nicht zu weit voraus zu fahren.
Als ich auf dem Heimweg auf den autoleeren Straßen um eine Ecke biegen will, stehen plötzlich Menschen auf der Straße, langsam erkenne ich, dass es sich um einen Unfall handelt, bei dem drei Autos ineinander gekracht sind. Eine Frau bückt sich zu einer anderen, die auf dem Boden sitzt, ihr Fahrrad liegt auf dem Boden. Wollte sie ihr ausweichen und ist dabei in die anderen Autos hineingerammt? Ich kann nicht sehen, ob es weitere Verletzte gibt und fahre weiter. Von den Balkonen schauen die Menschen hinunter. An der nächsten Kreuzung höre ich Sirenen: ein Krankenwagen und ein Feuerwehrauto biegen mit quietschenden Reifen um die Ecke. Mich überkommt ein Schauer als ich die dicht gedrängten Feuerwehrmänner in ihrem Auto sehe – dass die jetzt weiter ihren Job machen und sich der Gefahr einer Ansteckung aussetzen, dafür habe ich großen Respekt. Gleichzeitig empfinde ich es als tröstlich, dass in dieser Ausnahmesituation einige Dinge weiter ihren gewohnten Gang gehen.